Volksabstimmung

Das Instrument der Volksabstimmung (auch: konfirmatives Referendum) ist in der österreichischen Bundesverfassung verankert; weitere gesetzliche Regelungen sind im Volksabstimmungsgesetz von 1972 festgelegt. Das Instrument ermöglicht Bürger*innen in unregelmäßigen Abständen unmittelbar über Verfassungs- und Bundesgesetze abzustimmen. Abstimmberechtigt sind österreichische Staatsangehörige, die auch die Berechtigung zum Wählen haben. Die Entscheidung der Volksabstimmung ist rechtsbindend. Volksabstimmungen sind in Österreich mit Ausnahme vom Budget zu fast allen Sachthemen möglich (Storr 2010: 101). Das konfirmative Referendum ist nach Art. 43 der österreichischen Bundesverfassung durchzuführen, wenn der Nationalrat dies beschließt oder wenn die Mehrheit seiner Mitglieder dies verlangt. Es wird vom/von der Bundespräsident/in angeordnet. In Österreich gibt es folgende vier Varianten der Volksabstimmung:

  • Bei einer Gesamtänderung der Bundesverfassung ist eine Volksabstimmung zwingend vorgesehen (obligatorisches Referendum), (Art. 44 B-VG). Eine Gesamtänderung liegt in der Regel vor, wenn durch ein Gesetz eines oder mehrere der leitenden Grundprinzipien (das demokratische, republikanische, bundesstaatliche, das gewaltenteilende, das rechtsstaatliche und das liberale Prinzip) der österreichischen Verfassung verändert werden könnten (Adamovich u.a. 2011: 130-132).
  • Obligatorisch ist eine Volksabstimmung ebenfalls bei einer vorzeitigen Absetzung des*der direkt gewählten Bundespräsident*in, wenn diese zuvor durch die Mehrheit der Bundesversammlung beschlossen wurde (Art. 60 B-VG).
  • Bei einer Teiländerung der Bundesverfassung ist eine Volksabstimmung optional durchzuführen, wenn diese von einem Drittel der Mitglieder des Nationalrates gefordert wird (fakultatives Referendum) (Art. 44 B-VG).
  • Jeder Gesetzesschluss des Nationalrates kann zudem einer fakultativen Volksabstimmung unterzogen werden, wenn der Nationalrat dies beschließt oder die absolute Mehrheit seiner Mitglieder es verlangen (Art. 43 B-VG).

Somit kann theoretisch zu jedem Verfassung- bzw. Bundesgesetz eine Volksabstimmung angeordnet werden, wenn es von der festgelegten Abgeordnetenmehrheit verlangt wird. Allerdings kann eine Volksabstimmung nur über ein bereits beschlossenes Gesetz erfolgen. Gesetzesbeschlüsse des Nationalrates benötigen eine bestimmte Mehrheit an Stimmen von Abgeordneten (siehe Tabelle). Wenn ein Gesetz bereits die Mehrheit im Nationalrat hat, ist es jedoch unwahrscheinlich, dass sich genug Gegenstimmen ergeben werden, die eine Volksabstimmung noch einleiten könnten (Weiß 2010: 14f.). Dies macht es für die Opposition beinahe unmöglich von diesem Instrument Gebrauch zu machen, da sie im Nationalrat kaum die nötige Mehrheit erreichen wird. Die Fraktionen, die ein Gesetz durchsetzen wollen, greifen hingegen nur in seltenen Fällen zu dem Instrument. Da eine Volksabstimmung in Österreich somit in der Regel nur von der Regierungskoalition veranlasst werden kann, die meistens die Mehrheit im Nationalrat stellt, wird das Instrument auch als „Regierungsreferendum“ bezeichnet (Bernauer u.a. 2009: 233f.).

Tabelle: Abstimmungsmehrheiten, die benötigt werden, um Verfassungsänderungen, Gesetze und Volksabstimmungen zu beschließen

(c) Demokratiezentrum, Quelle: Weiß 2011, S. 18.

Funktion und Wirkung

Das Instrument der Volksabstimmung hat in Österreich drei wesentliche Funktionen: Erstens, dient es als Mittel, um sich bei kritischen Entscheidungen von großer Tragweite die öffentliche Unterstützung zu versichern (siehe Zwentendorf). Bei einer Abstimmung für das von der Regierung beschlossene Gesetz wird somit gleichzeitig die Legitimität der Regierungspolitik gestärkt, bei Ablehnung wird diese geschwächt.

Zweitens erhofft man sich bei Uneinigkeit und Spannung innerhalb der Regierungspartei oder -koalition, sensible Entscheidungen auf „Externe“ zu verlagern, um dadurch eine Spaltung der Regierung zu vermeiden (Bernauer u.a. 2009).

Und schließlich dient das Regierungsreferendum vor allem als ein Instrument, das die eigene politische Haltung stärken, die der Opposition hingegen schwächen soll. Oft gehen umfangreiche Abstimmungskampagnen seitens der Regierung, der Opposition und Gegner*innen voraus, die das Ziel haben für oder wider den Referendumsinhalt zu mobilisieren (Bernauer u.a.: 235).

Volksabstimmung Zwentendorf (1978)

Zu sehen ist der Stimmzettel für die Volksabstimmung am 5. November 1978. Hier wurde darüber entschieden, ob das Kernkraftwerk Zwentendorf in Betrieb genommen werden soll.

Quelle: Universität Wien

Die Volksabstimmung über die friedliche Nutzung der Kernenergie in Österreich und die Inbetriebnahme des Atomkraftwerkes Zwentendorf war die erste und bisher einzige fakultative Volksabstimmung, die es in Österreich gegeben hat. Sie wurde von der damals allein regierenden SPÖ von Bundeskanzler Dr. Kreisky aufgrund der politischen Brisanz des Themas angeordnet (Storr 2010: 100). Der Bau des ersten von drei geplanten Atomkraftwerken im niederösterreichischen Zwentendorf stand bereits fest, auch die ÖVP war der Nutzung von Atomenergie positiv gegenüber eingestellt. Doch die Meinung innerhalb der Bevölkerung war tief gespalten und wurde von einer sich immer stärker mobilisierenden Anti-Atomkraftbewegung geprägt (Gottweis 1998: 165f.). Ein wesentlicher Grund für die Ansetzung der Volkabstimmung war aber vor allem das Spannungsverhältnis hinsichtlich des Themas innerhalb der SPÖ (Hornig 2011: 282). Um nicht allein die Inbetriebnahme des Atomkraftwerks verantworten zu müssen, griff Kreisky zum Mittel der Volksabstimmung. Er hoffte damit seiner Entscheidung zusätzliche Legitimität zu verleihen, weitere Spannungen in der SPÖ zu vermeiden und damit seine Position in der Regierung zu stärken. Auf der Pro-Seite stand während der Abstimmungskampagne allein die SPÖ, während die Oppositionsparteien ÖVP, FPÖ und die außerparlamentarische Kommunistische Partei sich gegen die Vorlage der SPÖ aussprachen (Hornig 2011: 283). Am 5. November 1978 stimmten bei einer Beteiligung von 64,1 % der Stimmberechtigten 50,47 % gegen die Inbetriebnahme des Atomkraftwerks. Als politische Konsequenz wurde das „Atomsperrgesetz“ verabschiedet, das die Nutzung von Kernenergie in Österreich in Zukunft verbot und 1999 durch das „Bundesverfassungsgesetz für ein atomfreies Österreich“ ersetzt wurde.

Volksabstimmung über EU-Beitritt Österreichs (1994)

Zu sehen ist der Stimmzettel für die Volksabstimmung am 12. Juni 1994. Die österreichische Bevölkerung sollte hier über den EU-Beitritt Österreichs entscheiden.

Quelle: bmi.gv.at

Der geplante Beitritt Österreichs zur EU im Jahr 1995 bedeutete eine Gesamtänderung der österreichischen Bundesverfassung, da er mehrere Baugesetze eingeschränkt hätte (Verlust staatlicher Souveränität sowie Neutralität: Pelinka/Greiderer 1996). Somit war eine Volksabstimmung zwingend notwendig. Die erste und bisher letzte obligatorische Volksabstimmung fand daher am 12. Juni 1994 statt. Die Regierungsparteien der Großen Koalition von SPÖ und ÖVP standen geschlossen für einen Beitritt Österreichs zur EU, während die oppositionellen Grünen und FPÖ dagegen waren. Diese Gegenüberstellung machte es vor allem für die Grünen schwer, ihren Standpunkt verständlich zu machen, zudem gab es in beiden Lagern Abweichler*innen (Hornig 2010: 278). Die Zusammenarbeit von ÖVP und SPÖ ermöglichte es dem Pro-Lager in einer großangelegten Abstimmungskampagne, die auch mit öffentlichen Mitteln unterstützt wurde, für den EU-Beitritt zu werben. In einer sehr hohen Beteiligungsquote von 81,3% sprachen sich zwei Drittel der österreichischen Abstimmungsberechtigten (66,6%) für einen Beitritt aus.

Auch im Rahmen der geplanten EU-Verfassung im Jahr 2007 wurde diskutiert, ob damit eine Gesamtänderung einhergehe und eine obligatorische Volksabstimmung durchzuführen sei. Während in mehreren Ländern (z.B. Frankreich, Niederlande) Referenden stattfanden, wurde in Österreich der Vertrag ohne eine vorherige Volksabstimmung vom Nationalrat ratifiziert, da dieser nach Einschätzung der Rechtsexpert*innen keine Gesamtänderung bedeutete (Weiß 2010: 23).