Volksbegehren

Das direktdemokratische Instrument des Volksbegehrens ist seit 1920 in der Bundesverfassung verankert (Art. 41 Abs. 2 B-VH), es wurde jedoch erst 1963 mit einem Ausführungsgesetz vom 10. Juli 1963 praktisch verfügbar (Müller 2006: 110). Die wesentlichen gesetzlichen Regelungen des Verfahrens werden im Volksbegehrengesetz von 1973 geklärt und im Jahr 2018 erweitert.

Das Instrument des Volksbegehrens macht es einer Gruppe von Bürger*innen möglich, selbst ein Gesetzgebungsverfahren im Parlament zu initiieren. Bei einer bestimmten Anzahl von Unterstützungsunterschriften (bis 1981 200.000, dann 100.000 oder je ein Sechstel der Stimmberechtigen dreier Bundesländer) kann die Gruppe die Behandlung eines Gesetzesvorschlags im Parlament verlangen (Müller 2006: 110). Das Instrument ist rechtlich nicht bindend. Der Nationalrat wird dadurch verpflichtet, die Gesetzesinitiative zu diskutieren, er entscheidet am Ende aber selbst, ob ein Gesetzesentwurf umgesetzt wird oder nicht. Damit unterscheidet sich das österreichische Volksbegehren von den Volksinitiativen in der Schweiz, die in der Regel eine Volksabstimmung nach sich ziehen (Siehe: Factsheet Direkte Demokratie im europäischen Vergleich).

Das Verfahren

Der Prozess des Volksbegehrens gliedert sich in drei Phasen: Das Einleitungs-, das Eintragungs- und das Ermittlungsverfahren (bmi.gv.at).
Im Einleitungsverfahren wird das Volksbegehren zunächst beim*bei der Bundesminister*in für Inneres beantragt. Für den Antrag wird ein ausformulierter Gesetzestext oder eine Anregung zu einem Gesetz sowie Unterschriften von Unterstützer*innen (Unterstützungserklärungen) aus mindestens einem Promille (derzeit:8041) der österreichischen Gesamtbevölkerung benötigt. Der Text muss eine Angelegenheit betreffen, die in die Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes fällt (Storr 2010: 96f.). Einen Antrag zur Einleitung eines Volksbegehrens können sowohl Einzelpersonen als auch Personengruppen oder politische Parteien stellen. Der*die Bundesminister*in hat nach Einleitung drei Wochen Zeit über die Zulässigkeit des Antrages zu entscheiden. Die Entscheidung wird im Amtsblatt und Internet verlautbart (Beispiel: Verlautbarung der Entscheidung zum Volksbegehren Bildungsinitiative)

Das Eintragungsverfahren wird von den Gemeinden durchgeführt sobald dem Antrag stattgegeben wurde. Der*die Bundesminister*in muss hierfür einen Eintragungszeitraum festlegen, der frühestens acht Wochen und spätestens sechs Monate nach dem Tag der Verlautbarung liegen muss. Das Eintragungsverfahren dauert acht Tage. In diesem Zeitraum entscheiden die Bürger*innen mit ihren Unterschriften darüber, ob das Anliegen im Parlament diskutiert werden soll. Damit ein Volksbegehren Erfolg hat, sind 100.000 Unterschriften (inkl. der Unterstützungserklärungen) von stimmberechtigten Österreicher*innen notwendig, die innerhalb des einwöchigen Eintragungszeitraumes in den Gemeinden eingehen müssen.  Seit 1. Jänner 2018 können Volksbegehren in jeder beliebigen Gemeinde unterzeichnet werden, unabhängig vom gemeldeten Wohnsitz. Zudem besteht für österreichische Bürger*innen nun auch die Möglichkeit online (mittels Bürgerkarte oder Handy-Signatur) für die Abgabe einer Unterstützungserklärung und/oder für die Unterzeichnung eines Volksbegehrens unterschreiben zu können. Auf diese Weise dürfen nun auch Auslandsösterreicher*innen ihre Stimmen abgeben (bmi.gv.at). Dadurch, dass auch die Gemeinden nun die Volksbegehren über einen Computer unterzeichnen lassen, werden alle Stimmen digital zusammengetragen. Dies hat auch den Vorteil, dass das langwierige Ermittlungsverfahren, welches früher nach dem Eintragungsverfahren durchgeführt wurde, nun wegfällt.

Funktion und Wirkung

Im Gegensatz zum direktdemokratischen Instrument der Volksabstimmung, dessen Initiativrecht beim Nationalrat liegt, können mithilfe des Volksbegehrens auch Bürger*innen ein Gesetzgebungsverfahren einleiten. Rosenberger und Seeber (2007) konstatieren eine Zunahme von Volksbegehren in Österreich, die unter anderem auch auf Initiativen aus der Zivilgesellschaft zurückgehen, oft aber auch von Parteien unterstützt werden. Bürger*innen initiieren Volksbegehren, „um öffentlich auf Probleme aufmerksam zu machen, Politisierung eines Themas herzustellen und Protest zu bündeln“ (Rosenberger/Seeber 2007: 233). Aufgrund der kurzen Sammelzeit und der Tatsache, dass Volksbegehren nicht rechtsbindend sind, sind Funktion und Wirkung von Volksbegehren jedoch begrenzt. Sie können aber vor allem in Verbindung mit medialer Aufmerksamkeit als „Schwunggeber“ dienen, indem sie die Regierung und Parlament dazu drängen Gegenvorschläge auszuarbeiten (Bernauer u.a. 2009: 237, 240). Gleichzeitig wird das direktdemokratische Instrument von Parteien bzw. parteinahen Organisationen, insbesondere der Opposition genutzt, um Wähler*innen für ihre politischen Anliegen zu mobilisieren oder zu sensibilisieren und dadurch Druck auf die Regierung auszuüben (Ebd.).

Insgesamt gibt es einen Überhang an Volksbegehren, die durch politische Parteien initiiert wurden. Insbesondere bei den ersten Volksbegehren von 1964 bis 1999 (Siehe: Tabelle Volksbegehren Österreich) wurden 12 von 23 Volksbegehren durch Abgeordnete unterstützt. Vor dem Hintergrund der parteipolitischen Dominanz wurde das Eintragungsverfahren allerdings so verändert, dass fortan auch Parteien zur Durchsetzung die geforderte Anzahl von mindestens 100.000 Unterstützungsunterschriften der Wahlberechtigen benötigen. Zuvor war es möglich, dass acht Abgeordnete des Nationalrates oder je vier Abgeordnete von drei Landtagen ein Volksbegehren einleiten konnten, was zur Folge hatte, dass das Instrument zunehmend von Oppositionsparteien zu parteipolitischen Zwecken instrumentalisiert wurde – denn der Weg über ein Volksbegehren erreichte mehr mediale Aufmerksamkeit als der übliche Initiativantrag im Parlament (Weiß 2010: 29). Doch auch mit der Reform von 1999 konnte der Instrumentalisierung des Volksbegehrens durch Parteien kein Ende gesetzt werden. So sind nach Rosenberger und Seeber Parteiorganisationen auch weiterhin für die Kampagnendynamik wie Finanzierung zuständig. Vielmehr erweisen sich die bereits vorhandenen Organisationsstrukturen von etablierten Institutionen wie Parteien oder großen Interessenverbänden als Bestimmungsfaktoren für eine breite Unterstützung durch die Bürger*innen (Rosenberger/Seeber 2007: 235f.).