Staatsbürgerschaft ist ein facettenreiches Konzept, das eine Kategorie von Mitgliedschaft und die damit verbundenen Rechte mit Pflichten beschreibt (vgl. Meer 2014: 19). Als Reaktion auf die beschriebenen Herausforderungen für das klassische Verständnis von Staatsbürgerschaft wurden in der Politikwissenschaft verschiedene alternative Konzepte von Citizenship entworfen. Es sind Vorschläge, wie das bisher bekannte, an Nationalstaaten gebundene Konzept von Staatsbürgerschaft und damit auch von demokratischen Strukturen erweitert oder ersetzt werden könnte. Einige davon sollen nun kurz vorgestellt werden.
Global Citizenship
Das Konzept des global citizenship bezieht sich nicht auf Nationalstaaten oder ähnliche geografische und politische Einheiten. Vielmehr geht es um die Mitgliedschaft in einer globalen Gemeinschaft, um menschliche Identität und Solidarität, um Menschenrechte und deren weltweite Gültigkeit und Einhaltung. Es wird der Anspruch formuliert, dass bestimmte Rechte und das Mensch-Sein an sich stärker verbindet als eine Nation. Als empirisch beobachtbare Entwicklung ist der bereits angesprochene globale Konstitutionalismus zu nennen, der auf Basis der Menschenrechte und anderer Verträge zum Schutz von individuellen Freiheiten und Rechten gegenüber dem Staat in gewisser Weise über dem Gewaltmonopol des Nationalstaates steht und dieses begrenzt (vgl. Brunkhorst/Kettner 2000: 13).
Aufgrund der angesprochenen Entwicklungen und Gegebenheiten, wie Migration und Globalisierung, ist die Nation als geeigneter Rahmen für Politik, Teilhabe und Identität zu klein geworden, wie manche Politikwissenschafter*innen argumentieren (vgl. Thürer 2000: 178). In einer Zeit gesteigerter Mobilität und Flexibilität, in der grenzüberschreitende Interaktionen immer schneller und häufiger werden, sei eine territorial definierte Identität und ein geographischer Bezugsrahmen für Citizenship zu starr und müsse flexibel erweitert werden. Zudem habe die allgemeine Gültigkeit von Menschen- und Minderheitenrechten und der fortschreitende globale Konstitutionalismus dazu beigetragen, eine Art menschliche Identität zu schaffen, die keine Unterteilungen in Nationen oder Kontinente mehr brauche (vgl. Stephens 2010: 33f). Die Frage, wie diese Solidarität mit allen Menschen auf der Welt konkret ausgedrückt und (institutionell) umgesetzt werden kann, bleibt jedoch unbeantwortet.
Aus einer postkolonialen Perspektive wird global citizenship deshalb auch kritisch betrachtet, da der Zugang dazu nicht gleichermaßen für alle Bürger*innen möglich ist. Eine ungleiche globale Machtverteilung und ungleicher Zugang zu Ressourcen wird durch einen einheitlichen Ansatz von global citizenship unsichtbar gemacht (vgl. Jefferess 2014; eine kritische Diskussion dazu u.a. bei Wintersteiner et al. 2015).
Cosmopolitan Citizenship
Das Konzept des Weltbürgers bzw. der Weltbürgerin (Kosmopolit) stammt ursprünglich schon aus der Antike und wurde im Humanismus und im 18. Jahrhundert in der europäischen Aufklärung stark rezipiert. Besonders der deutsche Philosoph Immanuel Kant prägte diesen Gedanken (vgl. Osler/Starkey 2005: 20). Im späteren 19. Jahrhundert erstarkten die nationalistischen Bewegungen in Europa und im 20. Jahrhundert geriet die Idee des Weltbürgers aufgrund der (nationalistisch geprägten) Konflikte und Weltkriege eher in Vergessenheit. Nun wird cosmopolitan citizenship jedoch wieder stärker in die Diskussion um neue Bürgerschaftskonzepte eingebracht (vgl. Seitz 2009: 37).
Heute bereits existierende Formen von global governance (also von globalem Regieren) durch internationale Organisationen und Institutionen, internationale rechtlich verbindliche Verträge und Konventionen sowie Mehrebenensysteme (in denen auf verschiedenen Ebenen, also national, regional und global Entscheidungen getroffen werden) zeigen, dass eine solche weltbürgerliche Regierungsform durchaus möglich ist (vgl. Seitz 2009: 43). Dabei muss aber bedacht werden, dass letztlich die Nationalstaaten die entscheidenden Instanzen in all diesen Mehrebenen- und global governance-Systemen sind: Die Budgets von internationalen Organisationen sind von den Nationalstaaten abhängig, das leitende Personal wird von Regierungen bestimmt und entsandt, die Einhaltung und Durchführung von internationalen Regeln liegt bei den Nationalstaaten und internationale Organisationen haben kaum Sanktionsmöglichkeiten gegenüber ihren Mitgliedsstaaten. Es handelt sich bei global governance also eher um eine Art Überbau zur Koordinierung und Kontrolle der Nationalstaaten, in den neue Akteur*innen integriert werden. Internationale Organisationen, Nichtregierungsorganisationen (NGOs), soziale Bewegungen, Unternehmensvertreter, wissenschaftliche Institutionen (Think Tanks), parlamentarische Ausschüsse oder Kommissionen zu speziellen Themen treten in den letzten Jahren verstärkt als unabhängige Akteur*innen auf der internationalen Arena auf und werden auch von den Nationalstaaten zunehmend eingebunden und angehört (vgl. Fues 2007: 2). Dennoch bleibt der Nationalstaat nach wie vor der zentrale Akteur.
Gemeinsamkeiten und Handlungsmöglichkeiten
Die Legitimationsgrundlage von regionalen und internationalen Organisationen, welche das Verhalten von Nationalstaaten regulieren möchten, sind häufig moralische und normative Ansätze, die universelle Gültigkeit der Menschenrechte, Umweltschutz, etc. Der Ansatz der Weltbürgerschaft basiert (oft unausgesprochen) auf der Identität als Mensch, als Träger von gewissen Rechten und Pflichten, unabhängig von dem Land, in dem er oder sie geboren wurde oder gerade lebt (Seitz 2009: 44). Es handelt sich um Rechte einzelner Menschen im Verhältnis zu anderen Menschen, zu Tieren, zur Umwelt, zu Staaten und deren Autoritäten. Es handelt sich aber auch um Pflichten von Menschen gegenüber anderen Menschen, Staaten und der Erde. Darin weist dieser Ansatz große Ähnlichkeiten mit dem global citizenship auf, das ebenso von einer übergeordneten Identität als Mensch ausgeht. Im Bewusstsein der „Weltbürger*innen“ stehen Elemente, welche die gesamte Menschheit verbinden im Vordergrund anstatt Trennendes (vgl. Osler/Starkey 2005: 21).
In einer zunehmend mobilen und globalisierten Welt lernen die Menschen, eine Verbindung zwischen ihrer lokalen Lebenswelt und Realität und globalen Zusammenhängen herzustellen und danach zu handeln. Solidarität kann nicht nur vor Ort gelebt werden, indem man mit betroffenen Menschen persönlichen Kontakt unterhält, sondern kann auch durch bewusste Kaufentscheidungen, die Schaffung einer kritischen Öffentlichkeit oder ähnliches ausgedrückt werden. Auch wenn Kosmopoliten langfristig auf die Abschaffung von nationalen Grenzen hinarbeiten, so muss ihr Handeln nicht unbedingt tatsächlich Grenzen überschreiten (vgl. Fox 2005: 177): Wichtig sind ein verändertes Bewusstsein und eine erweiterte Identität der Menschen, die nicht an nationalen oder geographischen Grenzen halt machen dürfen. So kann bewusster Konsum im eigenen Land durchaus Veränderungen in anderen Staaten der Welt anstoßen.
Der Ansatz des cosmopolitan citizenship argumentiert, dass die bisherige Praxis der strengen Aufteilung der Welt in Nationalstaaten nicht mehr ausreichend für die Problemlösung im 21. Jahrhundert ist und überdacht werden soll. Im Gegensatz zu anderen Ansätzen, die sich auf eine weitgehend undefinierte „höhere Polity“ beziehen (wollen), erkennt dieses Konzept aber den Nationalstaat als wichtige Handlungseinheit weiterhin an. Es geht darum, Formen von global governance und von Mehrebenensystemen zu stärken und auszubauen. Auf diese Weise sollen nationale Regierungsformen ergänzt und (so die Hoffnung) verbessert werden. Die Existenz der Nationalstaaten wird jedoch nicht radikal in Frage gestellt. Vielmehr soll durch ein Netz an Institutionen und Regelwerken auf verschiedenen Ebenen (lokal, national, regional und global) die nationale Handlungsweise von Staaten begrenzt werden. Langfristig sollen nicht mehr nur nationale Interessen handlungsleitend für die Staaten sein, sondern auch universelle Interessen und Ideale, wie etwa die Menschenrechte, Umweltschutz, Solidarität und geteilte Werte. Die Frage, ob auf solchen „weichen“ Idealen und Ideen eine künftige Polity gegründet werden kann, kann wohl erst in der Zukunft beantwortet werden.
Postnational Citizenship
Dieses Konzept geht davon aus, dass Citizenship die Kategorie des Nationalstaates überwinden müsse, da dieser in einer modernen globalisierten Welt nicht mehr die adäquate Referenz zur Identitätsbildung darstelle. Die große Frage, wodurch sich eine postnationale Gemeinschaft aber identifizieren soll und wie eine postnationale Demokratie oder Politik funktionieren soll, bleibt weitgehend unbeantwortet.
Die Idee des postnational citizenship nennt ebenso wie global citizenship die Notwendigkeit, die starre Konzentration auf den Nationalstaat als Referenz- und Handlungsrahmen im politischen wie im gesellschaftlichen Bereich (langfristig) zu überwinden. Der postnationale Ansatz zielt aber nicht gleich auf eine globale Zivilgesellschaft oder eine globale Polity (politische Einheit), sondern hat eher regionale Gebilde vor Augen. Ein Beispiel für ein mögliches postnationales Experiment wäre die Europäische Union. Es bleibt aber eine zentrale Frage ungeklärt: Wie können die politischen Institutionen, die in einer demokratischen Gesellschaft notwendig sind, sinnvoll und funktionsfähig auf eine über-nationale Ebene transferiert werden (vgl. Tambini 2001: 195)? Auch die EU, welche große Fortschritte bei der Integration von nationalstaatlicher Verantwortung gemacht hat, hat bisher Probleme, die nationalstaatlich gewachsenen und begrenzten demokratischen Strukturen entsprechend zu erweitern. Das häufig in Politik, Medien und auch Politikwissenschaft angesprochene Demokratiedefizit der EU entstand hauptsächlich dadurch, dass nationalstaatliche Strukturen und Institutionen nicht einfach auf die supranationale Ebene übertragen werden können. Auf EU-Ebene ist daher bis heute die Exekutive stärker ausgebaut als die Legislative, wenn man den Vergleich mit demokratischen Nationalstaaten zieht. Auch andere internationale Organisationen folgen meistens keinen demokratischen Standards oder Strukturen. Auf übernationaler Ebene dominiert bisher die Zusammenarbeit von Regierungen bzw. von Regierungsvertreter*innen, deren demokratische Kontrolle schwächer ausgestattet ist wie im nationalen politischen System.
Transnational Citizenship
Das Konzept des transnational citizenship geht davon aus, dass der Referenzrahmen des Nationalstaates für das 21. Jahrhundert „zu klein“ sei. Staatsbürgerschaft wird als Verhältnis (relation) zwischen Individuum und Polity gedacht. Polity bezeichnet in der Politikwissenschaft die Form und Struktur einer politischen Einheit. Ein Staat ist zum Beispiel eine Polity. Die EU ist ebenfalls eine, auch wenn es noch keinen geeigneten Namen für dieses Gebilde gibt. Citizenship wird als das Verhältnis zwischen den Individuen und der politischen Einheit entworfen (vgl. Fox 2005: 175). Der Nationalstaat ist als Polity jedoch zu eng begrenzt in einer mobilen globalisierten Welt. Wie bei den Konzepten des global und des postnational citizenship bleibt jedoch die Frage nach dem neuen Bezugsrahmen unbeantwortet. Wie soll eine neue politische Einheit begrenzt werden? Wer ist Mitglied dieser neuen Gemeinschaft, also Bürger*in? Wie kann man Mitglied werden? Wie wird darüber entschieden? Wie können demokratische Institutionen und Prozesse auf diese neue Ebene transformiert werden? Dies sind Fragen, die im klassischen Staatsbürgerschaftsverständnis weitgehend gelöst sind: Der Nationalstaat ist die Polity, er ist klar begrenzt, hat eine Regierung und demokratische Strukturen mit Legitimation und Handlungsreichweite innerhalb des Nationalstaates. In bundesstaatlichen Gesetzen ist geregelt, wer wie Mitglied dieser politischen Gemeinschaft werden kann. Im transnationalen Ansatz müssten diese wichtigen Punkte jedoch erst erarbeitet werden.
Multicultural Citizenship
Die beiden Begriffe „Kultur“ und „Staatsbürgerschaft“ beschreiben nach dem allgemeinen Verständnis deutlich unterschiedliche Räume, bzw. Praktiken und Formen der Macht. Allgemein gesprochen, wird „Kultur“ historisch meist mit der Privatsphäre und der Art und Weise des Lebens in Verbindung gebracht. „Staatsbürgerschaft“ wird dagegen in erster Linie mit einer expliziten öffentlichen Zugehörigkeit zu einer politischen Gemeinschaft und deren Institutionen, die die Rechte und Pflichten gewährleisten, assoziiert. „Cultural Citizenship“ ist hierbei ein Ansatz, der traditionelle Bürgerschaftsmodelle um Fragen der Identität erweitert (vgl. Pawley 2008).
„Multicultural Citizenship“ plädiert dafür, bestimmte Rechte nicht an Mitglieder von nationalen Staaten, sondern von kulturellen Gruppen zu verleihen. Diese Gruppen können innerhalb (unterhalb) oder über der staatlichen Ebene angesiedelt sein. Dies würde beispielsweise eine Art Interessenvertretung von kulturellen, religiösen oder auch migrantischen Gruppen umfassen. Anstatt des Nationalstaates als primärem Ansprechpartner wäre dann die jeweilige Organisationsform einer Gruppe Vertreterin der Interessen ihrer Mitglieder (vgl. Tambini 2001: 201). Bürgerschaft würde also aufgebrochen, die vorgestellte Homogenität von österreichischen, tschechischen, japanischen, etc. Nationalitäten und Staatsbürger*innen wäre nicht mehr so wichtig, weil die tatsächlich vorhandene Vielfalt einer Gesellschaft sich in den entsprechenden Gruppierungen und Organisationen widerspiegeln würde. Dadurch käme die Vielfalt auch auf politischer Ebene stärker zum Ausdruck, weil die einzelnen gesellschaftlichen Gruppen ihre eigenen „Sprachrohre“ hätten, abseits von etablierten politischen Parteien. Aber gegenüber welcher Polity werden die Interessen der Gruppen vertreten?
Eine Aufspaltung der Gesellschaft in kulturell, religiös oder ethnisch definierte Gruppen birgt auch erhebliche Konfliktpotenziale: Errungenschaften wie die allgemeinen Menschenrechte oder Minderheitenrechte wurden formuliert, um kulturalistische und „ethnische“ bzw. nationalistische Zuschreibungen oder Sonderrechte zu bekämpfen und aufzuheben. Es ist fraglich, ob es langfristig zu einer demokratischeren und gerechteren Gesellschaft führen würde, diese Abgrenzungsmerkmale über die „Hintertür“ des multicultural citizenship wieder in das politische System einzuführen.
Als eine durchaus umstrittene empirische Ausprägung von multicultural citizenship könnte das so genannte ethnic campaigning betrachtet werden (vgl. Barreto/Collingwood/Manzano 2008). Dies konnte etwa in den USA und auch in Großbritannien vor manchen Wahlen beobachtet werden. Dabei versuchen Kandidaten oder Kandidatinnen bewusst ihre eigene „ethnische“ oder nationale Gruppe anzusprechen. Besonders in Einwanderungsgesellschaften klingt dieser Ansatz verlockend, um beispielsweise die politische Vertretung von Minderheiten im Parlament zu stärken. Entsprechende Praktiken wurden beispielsweise bei irisch-stämmigen Kandidat*innen in den USA beobachtet, die sehr stark irisch-stämmige Bürger*innen umwarben. Ein mehrheitsförderndes und personalisiertes Wahlrecht, wie es beispielsweise in den USA und in Großbritannien gilt, ist für solche Praktiken eher geeignet als ein Verhältniswahlrecht, wie es beispielsweise in Österreich vorherrscht.
Diese Art der Wahlwerbung ist umstritten: Sie könnte einerseits die Wahlbeteiligung von Bürger*innen mit Migrationshintergrund steigern und deren Repräsentation in Parlamenten könnte steigen; andererseits werden dadurch aber ethnische oder kulturelle Unterschiede zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen stärker hervorgehoben, anstatt auf gemeinsame Probleme und Interessen aller Bürger*innen oder der verschiedenen sozialen Schichten zu setzen. So würde beispielsweise angenommen, dass alle Menschen mit dem gleichen Herkunftsstaat nur aufgrund dieser Herkunft die gleichen Interessen hätten, unabhängig von sozio-ökonomischem Status, Bildungsschicht, beruflicher und familiärer Situation, etc. (vgl. Casellas/Leal/McConnaughy/White 2010).
Denizenship
Dieser Citizenship-Begriff beschreibt eine Gruppe von Personen mit ständigem Wohnsitz im Ausland, wo sie nur Teilrechte einer Staatsbürgerschaft genießen. Es handelt sich dabei um eine Form der Bürgerschaft, welche oftmals unter Arbeitsmigrant*innen beobachtet werden kann und in der Definition von Turner eher am internationalen Arbeitsmarkt und den damit verbundenen Steuergesetzen festzumachen ist, als an einer sozialen Zugehörigkeit einer bestimmten Gruppe von Bürger*innen (vgl. Turner 2016). Die internationalen Arbeiter*innen sind hierbei Bewohner*innen mit einer fragmentierten und fragilen sozialen und politischen Bindung zur Öffentlichkeit. Sie definieren ihre Pflichten über ihre ökonomische Leistung und ihre Rechte über ihre Steuerabgaben an den Staat.
Digital Citizenship
Citizenship im digitalen Zeitalter eröffnet neue Möglichkeiten der Partizipation und birgt gleichzeitig Risiken für den demokratischen Prozess. Das Konzept „Digital Citizenship“ nimmt die politische Aktivität der Bürger*innen durch deren Nutzung von digitalen Kommunikationsplattformen in den Blick. Dazu gehört die Nutzung von Social-Media-Plattformen und Online-Tools zur Meinungsäußerung und zur Kommunikation unter Mitbürger*innen. Für die politische Bildung bedeutet dies, dass Medienbildung und digitale Grundbildung quer durch alle Zielgruppen gefördert werden muss, um kritische Reflexionskompetenzen zu stärken und um Filterblasen, Echokammern und Falschinformationen erkennen zu können und die eigene Rolle innerhalb dieser Kommunikationsstrukturen hinterfragen zu können (vgl. Kenner/Lange 2018).
Abschließende Bemerkungen
Die vorgestellten Konzepte neuer Formen von Citizenship stellen einen Ausschnitt der gesamten Debatte zu diesem Thema dar, die vor allem in der Politikwissenschaft geführt wird. Sie zeigt aber einige wichtige Punkte und Gemeinsamkeiten dieser Diskussion und theoretischen Überlegungen auf: Zum einen liegt allen diesen Konzepten die Diagnose zugrunde, dass der demokratische Nationalstaat als Akteur, als Ordnungsrahmen und Kategorie in einer zunehmend globalen, mobilen und vernetzten Welt an souveränem Handlungsspielraum verliert. Die klaren Grenzen, die der Nationalstaat für seine Legitimation und für sein Funktionieren braucht, werden durch wirtschaftliche, politische und vor allem gesellschaftliche Entwicklungen langsam aufgeweicht. Grenzen können heute viel leichter überschritten werden. Neue Konzepte von Citizenship stellen daher die Frage nach dem „wie weiter?“ bzw. „was nun?“. Wer ist wie handlungsmächtig?
Die Frage, welche Handlungsebene in Zukunft die erfolgversprechendere und bedeutendere sein wird, wird von verschiedenen Konzepten unterschiedlich beantwortet. Manche sehen kleinere und flexiblere Einheiten als den Nationalstaat als die „Handlungseinheit“ der Zukunft, wie etwa die Idee des multicultural citizenship, bei dem kulturelle oder sprachliche Gruppen an die Stelle der Nationalstaaten treten sollen. Andere Konzepte denken hingegen an größere Einheiten, wie etwa regionale Zusammenschlüsse von Staaten, wie die Europäische Union oder gar einen möglichst weltumspannenden Rahmen zur politischen Aushandlung (global citizenship). Andere wiederum lassen die mögliche Größenordnung der neuen dominanten Akteur*innen weitgehend unbeantwortet und sprechen nur von postnationalen oder transnationalen Regierungs- und Citizenship-Modellen und gehen daher über eine Kritik der bestehenden Strukturen kaum hinaus.
Obwohl diese Konzepte also anscheinend sehr unterschiedliche Antworten auf die Frage geben, wodurch der Nationalstaat abgelöst werden könnte, haben sie eine große Gemeinsamkeit: Sie haben keine reale Alternative zum Nationalstaat und zum bisherigen Verständnis von (Staats-)Bürger*innenschaft gefunden. Die Europäische Union stellt zwar eine Form von supranationalem Regieren dar, jedoch wurde bisher von vielen Praktiker*innen und Theoretiker*innen festgestellt, dass es noch kaum eine europäische Identität oder europäische Bürgerschaft gibt. Ebenso gibt es bereits Strukturen von global governance. Dennoch wird in diesen Strukturen der Nationalstaat nicht ersetzt oder überwunden, sondern ergänzt. Er ist die Einheit, auf der „supra“- „inter“- oder „post“-nationale Strukturen aufbauen. Neue Akteur*innen, neue Ebenen des Regierens sowie alternative Handlungsformen dienen also eher dazu, die Einschränkungen des nationalstaatlichen Handlungsspielraums über verstärkte Formen der internationalen Zusammenarbeit auszugleichen. Kann ein Staat aufgrund von internationalen Verträgen gewisse Themen nicht alleine entscheiden, so werden Verhandlungen über dieses Thema auf die überstaatliche Ebene verlegt, auf der jedoch ebenfalls Vertreter*innen der Nationalstaaten teilnehmen und entscheiden. So entsteht vordergründig der Eindruck, dass der Nationalstaat als Akteur an Einfluss verliert, bei genauerem Hinsehen wurden jedoch die Arenen, in denen Nationalstaaten nun agieren (können), erweitert. Diese Erweiterung trägt jedoch auch maßgeblich zu einer Verkomplizierung politischer Strukturen bei: Zuständigkeiten, Verknüpfungen und Hierarchien sind in einem vielschichtigen inter-, trans- und supranationalen Umfeld schwieriger darzustellen (und für Bürger*innen sowie für Parlamente schwieriger zu kontrollieren), als das vergleichsweise schlichte nationalstaatliche demokratische System, das bereits viel länger etabliert und bekannt ist.