Partizipatorische und deliberative Demokratietheorien (unter dem Sammelbegriff beteiligungszentrierte Demokratie: Schmidt 2010) sind als Gegenentwürfe und Kritik am Mangel an Partizipationschancen entworfen worden. Vor allem im Rahmen einer zunehmenden Globalisierung und Internationalisierung sowie Mobilität der Menschen gehen die Mitbestimmungschancen der Bürger*innen immer mehr verloren. Robert A. Dahl empfiehlt folglich mit dem Modell der beteiligungszentrierten Demokratie ein Gegengewicht zu schaffen, das durch erweiterte Partizipationsmöglichkeiten die Demokratiedefizite der supranationalen Organisationen ausgleicht (Schmidt: 238).
Die Ziele und Annahmen dieses alternativen Demokratiemodells stehen im Gegensatz zu den anderen Ansätzen, insbesondere zur Elitendemokratie oder dem Repräsentativmodell. Beteiligungszentrierte Theorievarianten gehen von einem optimistischen Bild der*des Bürger*in aus und zielen in erster Linie im Rahmen einer unmittelbaren Demokratie auf eine politische Mitbestimmung und Beteiligung möglichst Vieler in möglichst vielen Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozessen. Sie fordern demnach eine Ausweitung des demokratischen Prinzips in alle gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bereiche sowie der privaten Sphäre (z.B. Geschlechterdemokratie, Soziale Demokratie). Politische Beteiligung wird als Zentrum der Politik und als ein Wert an sich verstanden (Habermas siehe Schmidt 2010: 236). Demokratie wird hier also nicht mehr nur als Staatsform, sondern zugleich als „Lebensform“ (Barber 1994: 99f) begriffen. Die Befürworter*innen einer beteiligungszentrierten Demokratie heben den „Eigenwert politischer Beteiligung“ und „die erzieherische Funktion und Kommunikationskraft der Demokratie“ hervor (Schmidt 2010: 238). Insgesamt wird eine expansionistische, ausgeweitete Demokratiekonzeption vertreten, die den Schwerpunkt auf den politischen Input im Rahmen einer Beteiligung möglichst Vieler legt. Ziel ist das Erreichen neuer Ideen, welche schlussendlich zu einer inklusiveren Politik führen sollen, basierend auf öffentlichen Abwägungen, moralischen und intellektuellen Fähigkeiten der Bürger*innen, sowie gerechter und autonomieschonende Problemlösung. Hinzu kommt die bildende Funktion politischer Teilhabe, da Staatsbürger*innen dadurch zu Mündigkeit erzogen werden (vgl. Schmid 2019).
Die beteiligungszentrierten Demokratieansätze unterteilen sich im Wesentlichen in zwei Theorievarianten: Die partizipatorische Demokratietheorie, die in erster Linie eine Ausweitung der Beteiligungsrechte in jeglicher Hinsicht und allen gesellschaftlichen Bereichen fordert (u.a. Benjamin Barber). Und die deliberative Theorievariante, die vor allem eine gesteigerte Qualität des öffentlichen Abwägens und Beratschlagung des*der Bürgers*in in den Mittelpunkt rückt (v.a. Jürgen Habermas).
Starke Demokratie: Benjamin Barber
Der US-amerikanische Politikwissenschaftlicher Benjamin Barber macht den Neoliberalismus für den krisenhaften Zustand der Demokratie verantwortlich und entwickelt in seinem Hauptwerk unter dem Titel „Starke Demokratie“ (1984) ein Alternativmodell zur repräsentativen Demokratie. Für Barber ist Repräsentation der „Totengräber der politischen Beteiligung“ (Schmidt 2010), da sie die Motivation der Bürger*innen am politischen Geschehen zu partizipieren, verkümmern lässt. In seiner normativen Demokratietheorie spricht sich Barber für das Ideal einer „starken Demokratie“ aus, das durch eine Politik umfassender und fortwährender Bürgerbeteiligung geprägt ist. Barber vertritt ein optimistisches Bild eines/er Staatsbürgers/in, der zur mehr und besserer Partizipation qualifiziert ist: So werden Individuen, die die Aufgaben als Bürger*in wahrnehmen, gleich dazu erzogen, öffentlich als Bürger*innen zu denken. Ferner besagt das Konzept der „self-transformation“, dass Menschen im Prozess der Beteiligung, Diskussion und öffentlichen Willensbildung zu verantwortungsbewussten Staatsbürger*innen transformiert werden (vgl. Barber 146-149; siehe Massing 2003). Die Zukunft der Demokratie liegt für Barber somit in der starken Demokratie: „in der Wiederbelebung einer Form von Gemeinschaft, […] einer Form des öffentlichen Argumentierens […] und einer Reihe bürgerlicher Institutionen [… ]“ (Barber 1994: 146f). Bürger*innen sollen sich folglich vor allem dann „selbst regieren“, wenn über grundlegende Maßnahmen mit bedeutenden Konsequenzen entschieden werden. Infolgedessen setzt sich Barber für eine Ergänzung der repräsentativen Demokratie durch direktdemokratische Elemente, Institutionen der „Selbstregierung“, ein, die Bürger*innen eine dauerhafte Beteiligung an politischen Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozessen ermöglichen. Die Kultivierung des Austauschs und der Diskussion in der starken Demokratie hebt die Defizite der schwachen Demokratie dahingehend auf, dass sie Konflikte nicht wie diese eliminiert, unterdrückt oder toleriert (vgl. Barber 1994).
Deliberative Demokratie: Jürgen Habermas
Die deliberative Demokratie legt vor allem Wert auf eine verständnisorientierte, qualitative und geregelte Kommunikation, die die Basis demokratischer Entscheidungen bildet. Wesentlicher Bestandteil ist ein öffentlicher Diskurs über politische Themen in Form einer gemeinsamen Beratschlagung und eines ausgewogenen Austausches von Informationen und Argumenten (=Deliberation). Unter der Beteiligung möglichst Vieler soll dadurch ein gemeinsamer Konsens erreicht werden. Jürgen Habermas spricht deliberative Politik eine höherrangige Legitimität als den herkömmlichen Willensbildungs- und Entscheidungsprozeduren zu, in denen Entscheidungen durch Eliten und Repräsentant*innen nach Mehrheitsentscheid gefällt werden:
„Die deliberative Politik gewinnt ihre legitimierende Kraft aus der diskursiven Struktur einer Meinungs- und Willensbildung, die ihre sozialintegrative Funktion nur dank der Erwartung einer vernünftigen Qualität ihrer Ergebnisse erfüllen kann.“ (Habermas 1992:369)
Deliberative Demokratie erhöhe laut Habermas nicht nur den sachlichen Informationsgrad politischer Entscheidungen, sondern funktioniert zugleich als eine Art moralischer Filter. Somit werden Deliberation und öffentliche Kommunikation die Fähigkeiten zugesprochen, Gemeinwohl zu erzeugen. Demnach kann Deliberation zu vernünftigen und fairen Resultaten führen, die von der Bevölkerung anerkannt werden. Deliberative Demokratie setzt neben anspruchsvollen Verfahren der Beratschlagung und Beschlussfassung vor allem eine aktive Beteiligung der Bürger*innen voraus.
Kritik
Die beteiligungszentrierten Demokratieansätze, insbesondere die Deliberationstheorien ernten zahlreiche Kritik. So wird u.a das Menschenbild als unrealistisch kritisiert, das Bürger*innen in erster Linie als gemeinwohlorientierte und kompetente Staatsbürger*innen sieht. Ein weiteres Problem, besteht nach Schmidt im Fehlen einer Kunst des Zuhörens, die in der Realität eher durch ein „Nicht-hören-Wollen und Nichthören-Können“ ersetzt wird (vgl. Schmidt 2010). Der Zeit- und Ressourcenaufwand, der die Beschaffung von Information und die Abstimmung über politische Sachverhalte beansprucht, ist zudem sehr hoch. Ein weiterer Kritikpunkt besteht in der Befürchtung, dass eine übermäßige Partizipation der Bürger*innen am politischen Prozess und ein Überhandnehmen an Ansprüchen, das politische System überfordern und vor allem den Entscheidungsprozess verlangsamen könnte (vgl. Dachs 2008: 26f). Partizipation in Form von Deliberation erfordere darüberhinaus Bürger*innen mit hohem Engagement, Auffassungsgabe, Eloquenz sowie ausreichendem Interesse und Zeit. Deliberative Demokratie schaffe somit eher soziale Selektivität anstelle von Inklusion und schließe die Bürger*innen aus, die weniger gebildet und ausgestattet sind bzw. denen schlichtweg die Zeit fehlt, um sich ausreichend über die politischen Alternativen zu informieren (vgl. Schmidt 2010: 247f). Die Anforderungen der normativlastigen Theorien an die Gesellschaft und das politische System sind demnach oft zu hoch gesteckt und in der Realität kaum umsetzbar (vgl. Schmidt 2010: 246ff/Dachs 2008: 27).
Dennoch weisen partizipatorische und deliberative Demokratieansätze zahlreiche Stärken auf, die sie zu einer wichtigen Ergänzung als Antwort gegen die Krise der repräsentativen Demokratie machen. So setzten sich beteiligungszentrierte Demokratiemodelle am weitesten mit der Frage nach Partizipationsmöglichkeiten auseinander. Sie erkunden, so Manfred G. Schmidt, die Lücke zwischen Ist- und Idealzustand von Partizipation und versuchen diese mehr als andere Demokratielehren zu verringern (Schmidt 2010: 251). Partizipatorische und deliberative Demokratieansätze können darüberhinaus einen ständigen Dialog mit den Bürger*innen fördern und finden vor allem bei in der Gesellschaft kontroversen Themen Entscheidungsmöglichkeiten, die sich durch eine hohe Legitimität und gesellschaftliche Akzeptanz auszeichnen.