Erweiterung des Männerwahlrechts
Die Jahre von 1861 bis 1907 waren geprägt von einer schrittweisen Erweiterung des Männerwahlrechts, die jedoch, als das Wahlrecht vom Vermögen und der Steuerleistung entkoppelt wurde, mit einer Einschränkung des Frauenwahlrechts verbunden war. Die Forderung nach dem Frauenstimmrecht wurde seitens der ab den 1880er entstehenden Frauenbewegungen erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts stärker erhoben. Zuvor stand die Verbesserung von Bildungs- und Berufsmöglichkeiten bzw. Arbeitsbedingungen im Vordergrund. Im Vergleich zu anderen Staaten erhoben die österreichischen Frauen damit erst relativ spät die Forderung nach politischer Mitsprache, die mit einer Reihe von Diffamierungen und Sexualisierungen – reichend vom „natürlichen Aufgabengebiet“ der Frau in Familie und Haushalt, der „geistigen Unmündigkeit“ der Frau oder ihrer „Nervosität“ bzw. hin zur Unvereinbarkeit von Politik mit der „weiblichen Natur“ – bekämpft wurde. Zu einer geeinigten Frauenstimmrechtsbewegung kam es in Österreich bzw. im deutschsprachigen Gebiet der k. und k.-Monarchie (mit Ausnahme einer kurzen Anfangsphase bis etwa 1896) auf Grund unterschiedlicher Zielsetzungen, Strategien und parteipolitischer Hintergründe nicht. Die sozialdemokratischen und die bürgerlichen Frauen, die immer wieder ihre parteipolitische Unabhängigkeit betonten, kämpften allein und mit unterschiedlichen Mitteln für das Frauenwahlrecht.
Mit der Dezemberverfassung des Jahres 1867, die ebenso wie der „Ausgleich mit Ungarn“ als Folge der außenpolitischen Entwicklung und verlorener Kriege zu sehen ist, wurde Österreich zur konstitutionellen Monarchie. Eine liberale Verfassung mit einem Zweikammersystem (Herren- und Abgeordnetenhaus) wurde geschaffen, aber die Wahlordnung des Februarpatents übernommen, die Frauen mit wenigen Ausnahmen vom Wahlrecht ausschloss. Gleichzeitig wurde ein neues Vereins- und Versammlungsrecht erlassen, das für die Etablierung der Massenparteien (v.a. der Sozialdemokrat*innen und Christlichsozialen) bedeutsam wurde, die politische Organisierung von Frauen aber enorm erschwerte. „Ausländern, Frauenspersonen und Minderjährigen“ war die Mitgliedschaft in einem politischen Verein verboten. Frauen, die sich politisch betätigen wollten, mussten Wege und Möglichkeiten suchen, das Gesetz zu umgehen oder sich als „unpolitisch“ kaschieren.
Im Zuge der Reichstagswahlreform 1873 wurde die direkte Wahl des Abgeordnetenhauses, das nun nicht mehr durch die Landtage beschickt werden sollte, eingeführt. Die Mitglieder des Abgeordnetenhauses wurden ab nun aufgrund des Zensuswahlrechts in vier Kurien gewählt: In drei Kurien wurde das Wahlrecht direkt ausgeübt, in der Kurie der Landgemeinden durch Wahlmänner indirekt. Wahlberechtigt waren nur rund sechs Prozent der männlichen Bevölkerung. Frauen waren nur mehr in der Kurie des Großgrundbesitzes wahlberechtigt.
1896 wurde mit der Schaffung einer fünften, allgemeinen Wählerkurie, in der kein Steuerzensus mehr galt, das allgemeine, aber noch nicht gleiche Männerwahlrecht eingeführt (Badenische Wahlreform). Jene Männer, die ihr Stimmrecht schon in einer der bereits bestehenden Kurien besaßen, konnten es nun zweimal ausüben. Die Frauen blieben abermals vom Wahlrecht ausgeschlossen.
Frauenbewegungen und Kampf um das Frauenwahlrecht
Die Landtagswahlrechte beruhten bis zum Ende der Monarchie auf dem Kuriensystem bzw. dem Prinzip der Interessenvertretung. Frauen mit einer entsprechenden ökonomischen und sozialen Position besaßen daher dort ebenso wie in vielen Gemeindewahlordnungen in der Regel das Wahlrecht. 1888 wurde jedoch – mit Ausnahme der Großgrundbesitzerkurie – den Frauen das Wahlrecht zum niederösterreichischen Landtag entzogen, um das Landtags- an das Reichsratswahlrecht anzupassen. Als ein Jahr später (1889) der niederösterreichische Landtag den eigenberechtigten, steuerzahlenden Frauen auch das Gemeindewahlrecht entziehen wollte und 1890 im Zuge der Eingliederung der Wiener Vororte in die Kommune Groß-Wien auch die eigenberechtigten Frauen der eingegliederten Gebiete ihr Wahlrecht verloren, wurden erstmals heftige Proteste laut. Der Kampf um das Frauenwahlrecht begann sich zu intensivieren, die Frauenbewegungen formierten sich.
1891 beschloss eine „allgemeine Frauenversammlung“ in Wien, eine Petition an den Reichsrat zu richten, in der die Gewährung des allgemeinen, gleichen und direkten Reichsratswahlrechts an alle großjährigen und eigenberechtigten Staatsbürger*innen ohne Unterschiede des Geschlechts verlangt wurde. Auch die Aufhebung des Ausschlusses der Frauen von der Mitgliedschaft in politischen Vereinen wurde gefordert. Der erste politische Frauenverein im engeren Sinne entstand (auf Seiten der bürgerlichen Frauen) 1893 mit dem „Allgemeinen Österreichischen Frauenverein“, gegründet von Auguste Fickert. 1902 gründete Marianne Hainisch den Bund Österreichischer Frauenvereine mit dem Anliegen, eine österreichweite und international agierende Dachorganisation für die Frauenvereine zu schaffen. Der Bund sprach sich in der Wahlrechtsdebatte aber auch vehement für das Frauenstimmrecht aus – und das zum Teil deutlicher als der „Allgemeine Österreichische Frauenverein“ und die Sozialdemokratinnen, für die die Verbesserung ihrer Arbeitsbedingungen zunächst das zentrale politische Thema blieb.
Trotzdem war die Sozialdemokratische Partei die erste Partei, die das allgemeine und gleiche Wahlrecht ohne Unterschied des Geschlechts in ihr Programm aufnahm. Eine Pionierin im Kampf um das Frauenwahlrecht auf Seiten der sozialdemokratischen Partei war Adelheid Popp, unter deren Vorsitz es in der Penzinger Au am 1. Oktober 1893 auch zur ersten sozialdemokratischen Frauenwahlrechtsversammlung kam. Die Einführung des Frauenwahlrechts wurde aber zugunsten der Durchsetzung des allgemeinen und gleichen Männerwahlrechts immer wieder zurückgestellt. Auch die sozialdemokratischen Frauen hatten sich der Parteidisziplin unterzuordnen, nachdem Parteivorsitzender Victor Adler 1903 erklärt hatte, dass die Frauen zurückstehen müssten.