In der vierten Unterrichtssequenz wird die Familienrechtsreform der 1970er Jahre in Hinblick auf eine Demokratisierung des Geschlechterverhältnisses bearbeitet und ausgehend hiervon nach aktuellen Ungerechtigkeiten im Geschlechterverhältnis gefragt. Als Einstieg in das Thema Familienrechtsreform und um den Schüler*innen am konkreten Beispiel zeigen zu können, was sich durch die Familienrechtsreform veränderte, dient das Aufzeigen von Situationen vor der Familienrechtsreform. Im Anschluss hieran wird auf Basis eines Filmes aus der Austria Wochenschau das Anliegen und der Inhalt der Familienrechtsreform in der Form erarbeitet, dass der Film gemeinsam in der Klasse angesehen und anschließend auf Basis konkreter Fragestellungen in einem Gespräch zwischen Lehrpersonen und Schüler*innen besprochen wird.
Hinsichtlich des Filmbeispiels aus der Austria Wochenschau wird empfohlen, dass sich die Klasse den Film zweimal ansieht: ein erstes Mal zur Orientierung, ein zweites Mal, um die angeführten Fragen beantworten zu können. Hierbei kann den Schüler*innen auch bereits vor der zweiten Ansicht des Films mitgeteilt werden, welche Fragen beantwortet werden sollen. Zur Beantwortung der Fragen bzw. um einen Überblick über die Familienrechtsreform zu erlangen dient auch ein Arbeitsblatt (Arbeitswissen) über die Familienrechtsreform. Zum Abschluss der Unterrichtssequenz kann eine Diskussion über aktuelle Ungerechtigkeiten im Geschlechterverhältnis geführt werden.
Zum Medium und zum Umgang mit dem Medium im Unterricht: Die Austria Wochenschau
Zum Einstieg: Das alte Eherecht vor der Familienrechtsreform
Die Schüler*innen sollen sich folgende Situationen vorstellen:
- Ein junges Paar heiratet. Beide sind berufstätig. Nach der Eheschließung beschließt der Mann, dass sich seine Frau ausschließlich um die Familie kümmern soll. Rechtlich hat er (insbesondere mit der Argumentation, das hierdurch die Familie vernachlässigt wird) die Möglichkeit, durchzusetzen, dass seine Frau ihre Berufstätigkeit aufgibt.
- Euer Vater beschließt, dass er ab nun anstatt in einer angenehmen Stadtwohnung lieber in einer kargen Berghütte wohnen möchte. Die Familie muss ihm folgen, da er rechtlich bestimmen kann, wo die Familie ihren Wohnsitz hat.
Das neue Familienrecht, Beitrag Nr. 3 in der Austria Wochenschau, Ausgabe 13/1974 (3.21 min)
Ort: Österreich
Inhalt des Beitrags:
Rechtsreform: Gleichberechtigung der Frau, Familienrecht, Besserstellung für „Scheidungskinder“. Trauungszeremonie am Standesamt. Brautpaar zieht ein, Eheringe, Standesbeamter, Trauzeugen. Straßenszenen, Frau mit Kinderwagen, Kassiererin im Supermarkt, Jungfamilie, Passanten auf der Straße, Verkäuferin. Justizminister Broda zum Entwurf eines neuen Familiengesetzes, in dem Mann und Frau gleichgestellt sein sollen, weg von der patriarchalischen Ehe hin zur Partnerschaftsehe. Recht beider Eheleute auf
Berufstätigkeit, wobei Hausfrauentätigkeit und Erziehung der Kinder der herkömmlichen Berufstätigkeit gleichgestellt sein soll. Kleines Kind schiebt seinen Kinderwagen, größere Kinder mit Schultaschen auf der Straße, Kinder spielen im Park. Broda (OT) geht speziell auf die Problematik der Kinder aus geschiedenen Ehen ein, gesetzlicher Vertreter soll fortan der Elternteil sein, bei dem das minderjährige Kind lebt. Straßenszenen. Parlament.
Originaltext des Beitrags:
Mit der Trauung wird die älteste soziale Einrichtung unserer Gesellschaft beschlossen – die Ehe! Diese Zeremonie bedeutet aber auch, rein gesetzlich gesehen, dass die Frau einen Teil ihrer Rechte auf den Ehegatten überträgt, sich ihm unterordnet. Im Familienrecht, das noch aus dem Jahr 1811 stammt, wird der Mann eindeutig als „Haupt der Familie“ bezeichnet, dem sich die Frau unterzuordnen hat. Doch was vielleicht im Biedermeier berechtigt war, erscheint uns heute längst absurd. Die Frau hat freie Bildungs- und Berufswahl, und stellt im Alltag genauso ihren „Mann“ wie das vom Gesetz bestimmte „Haupt der Familie“. Ein Gesetzesentwurf, den Justizminister Broda ausarbeiten ließ, will diese Ungerechtigkeit vor dem Gesetz ablösen. Grundlage des neuen Familienrechtes wird die absolute Gleichstellung von Mann und Frau sein.
Orig.Ton Broda: „Anstelle der patriarchalischen Ehe, wie sie unsere Rechtsformreform vorsieht, soll auch in der Rechtsordnung die Partnerschaftsehe treten. Wir werden daher § 91 des geltenden AGBG aus dem Jahre 1811 beseitigen. Dort heißt es, dass der Mann das Haupt der Familie ist und das entspricht ja nicht mehr den heutigen gesellschaftlichen Verhältnissen. Anstelle dessen wird die Bestimmung treten, dass die Rechte und Pflichten der Ehegatten die gleichen sind. Das bedeutet Beistandspflicht der Ehegatten aber gleichzeitig Recht jedes Ehegatten auch einen Beruf auszuüben, wobei es uns insbesondere wichtig ist, dass die Erziehung der Kinder durch die Frau oder die Führung des Haushaltes durch die Frau die gleiche Wertung erhält wie eine Berufstätigkeit.“
Ein weiterer Gesetzesentwurf stellt auch die Rechtsbeziehungen zwischen Eltern und ehelichen Kindern auf Grundsätze, die einerseits dem Wohl der Kinder gerecht werden, andererseits die Eltern in die Lage versetzen, ihre Erziehungsaufgaben optimal zu erfüllen. Vater und Mutter werden im Bereich der Rechte und Pflichten völlig gleichgestellt. Besondere Hilfestellung wird Kindern aus geschiedenen Ehen geboten.
Orig.Ton Broda: „Sehr bedeutsam werden die Änderungen der Familienrechtsreform für die Stellung der Kinder sein. Die Unterhaltsrechte der Kinder werden verbessert, aber vor allem wird eines nach dem neuen Recht anders sein: jener Elternteil der für die Kinder zu sorgen hat, bei dem die Kinder erzogen werden, soll auch gesetzlicher Vertreter der Kinder sein. Heute ist das nicht so. Wenn die minderjährigen Kinder bei der Mutter sind, etwa nach der Scheidung einer Ehe, ist es doch so, dass der Vater gesetzlicher Vertreter der Kinder ist. Das bringt sehr viel Schikanen mit sich, sehr viel Unrecht, und das wollen wir beseitigen im Interesse der Besserstellung der Frau und der Kinder.“
Diese Gesetzesänderungen, die den Anforderungen unserer Zeit gerecht werden sollen,
werden noch im Frühjahr im Parlament behandelt.
Arbeitsaufgaben für Schüler*innen
Die Schüler*innen sollen sich den Film Das neue Familienrecht (Austria Wochenschau 13/74, Beitrag 3) ansehen und anschließend die unten stehenden Fragen diskutieren. Empfohlen wird, dass sich die Klasse den Film zweimal ansieht: ein erstes Mal zur Orientierung, ein zweites Mal, um die angeführten Fragen beantworten zu können. Hierbei kann den Schüler*innen auch bereits vor der zweiten Ansicht des Films mitgeteilt werden, welche Fragen beantwortet werden sollen.
Zum Inhalt/Thema des Film:
- Was ist das Thema des Films?
- Welche Akteur*innen treten auf?
- Welche Familienmodelle – Gesellschaftsmodelle (modern oder traditionell) – kommen im Film vor?
- Was ist das zentrale Anliegen der Familienrechtsreform?
- Wessen Position soll durch die Familienrechtsreform verbessert werden?
- Wie wird die Familienrechtsreform begründet?
- In welchen Rollen/Tätigkeiten werden im Filmbeispiel die Frauen gezeigt?
- Wie kommen Männer und Kinder im Filmbeispiel vor?
- Was sagt der Film über die Veränderungen im Geschlechterverhältnis und das Verhältnis zwischen Eltern und Kindern aus?
- Wer erklärt die Familienrechtsreform?
- Was hat die Familienrechtsreform mit Demokratie zu tun?
Zur Gestaltung des Films:
- Wie ist der Film aufgebaut bzw. welche Bausteine verwendet er (Interviews, Sprecher*in aus dem Off)?
- Wie werden die verschiedenen Bausteine eingesetzt?
- Welchen Zweck verfolgt der Film-Beitrag?
- Ist der Beitrag objektiv oder nicht?
Arbeitsaufgaben für Schüler*innen
Die Schüler*innen sollen sich das Arbeitsblatt zur Familienrechtsreform durchlesen und noch einmal zusammenfassen, was die wesentlichen Punkte der Familienrechtsreform sind. Ausgehend von der Einstiegsfrage (Vergleich mit dem alten Eherecht) soll auch noch einmal am konkreten Beispiel verdeutlicht werden, was sich durch die Familienrechtsreform geändert hat:
- Fasst auf Basis des Arbeitsblatts noch einmal zusammen, was das Anliegen und die wesentlichen Veränderungen der Familienrechtsreform sind.
- Denkt an die Einstiegsfrage (beide Situationen vor der Familienrechtsreform zurück: Wäre es nach der Reform noch möglich gewesen, dass der Mann seiner Ehefrau verbietet, berufstätig zu sein und er alleine bestimmen kann, wo die Familie wohnt?
Abschlussdiskussion
Im Anschluss an das historische Beispiel der Familienrechtsreform sollen die Schüler*innen gefragt werden, wo sie heute Ungerechtigkeiten im Geschlechterverhältnis sehen.
- Welche Ungleichheiten zwischen Mann und Frau bestehen heute noch?
- Wo seht ihr Handlungsbedarf?