Nachhaltigkeit als handlungsleitendes Prinzip

Wenn man nun die verschiedenen historischen wie aktuellen Bedeutungen von Nachhaltigkeit zusammenfasst, wie sie in politischen, wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Debatten verwendet werden, so zeigt sich ein sehr vielfältiges und breites Konzept. Der Idee der Nachhaltigkeit liegt das Bewusstsein für die Endlichkeit natürlicher Ressourcen und für die „absoluten Grenzen der Belastbarkeit“ der Erde zugrunde, was wiederum Fragen der gerechten Verteilung von knappen Ressourcen aufwirft (vgl. Bauchmüller 2014: 4). Das bedeutet, dass neben der ökonomischen (nachhaltige Nutzung von Ressourcen) auch eine ökologische (Verhinderung oder Verringerung von Umweltschäden) sowie eine normative (globale Verteilung, soziale Gerechtigkeit, Generationengerechtigkeit, Solidarität) Komponente eine wichtige Rolle für das Verständnis von Nachhaltigkeit spielt. Es geht eben nicht nur um die ökonomisch effiziente und ökologisch verträgliche Nutzung von Ressourcen, sondern es geht auch um die Verteilung von Wohlstand, um den Zugang zu Ressourcen, um die Gewährleistung bzw. Ermöglichung eines menschenwürdigen Lebens für alle Menschen auf der Welt. Es geht somit um Gerechtigkeit, Solidarität und um eine grundlegende Wertedebatte. Etwa 1,37 Milliarden Menschen (das sind etwa 25% der Weltbevölkerung) müssen täglich mit weniger als 1,25 US-Dollar auskommen. 2,56 Milliarden Menschen verfügen über weniger als 2 Dollar pro Tag. Dagegen haben etwa 15 Prozent der Menschen, vor allem im globalen Norden bzw. „dem Westen“, täglich etwa 75 Dollar zur Verfügung. Diese Zahlen verdeutlichen die extreme globale Ungleichheit, die durch die Folgen des Klimawandels in Zukunft noch verstärkt werden (vgl. Leist 2011: 36).

Gleichzeitig erfordert nachhaltiges Handeln (egal ob aus wirtschaftlicher oder aus politischer Sicht) einen Perspektivenwechsel der handelnden Akteure: Welche Auswirkungen haben unsere Handlungen auf Menschen, auf Gesellschaften, auf die Umwelt in anderen Regionen der Welt? Welche Auswirkungen hat das menschliche Handeln der Gegenwart auf künftige Generationen? Nachhaltigkeit beruht auf einer langfristigen und umsichtigen Perspektive und stellt somit auch ein handlungsleitendes Prinzip dar, das unsere Handlungen mitunter begrenzt. Gleichzeitig ist eine Verknüpfung von globalen und lokalen Handlungsansätzen möglich und notwendig (Glokalität). Diese Prinzipien des Nachhaltigkeitskonzepts erfordern wiederum eine Identifikation möglichst vieler Menschen und deren aktive Einbeziehung in die Entwicklung von nachhaltigen Wirtschafts- und Lebensformen (vgl. Pufé 2014: 20). Wie bereits in der Agenda 21 und in den SDG herausgearbeitet wurde, kann Nachhaltigkeit zwar als Ziel oder handlungsleitendes Prinzip „von oben“ vorgegeben werden, für die Umsetzung braucht es aber die Beteiligung und Identifikation einer großen Bandbreite an Akteur*innen. Bei der Abschätzung von Folgen unseres heutigen Handelns sowie bei der Verhinderung oder Verminderung von Umweltschäden oder von negativen Auswirkungen auf Menschen spielen wiederum technische und wissenschaftliche Lösungen eine große Rolle im Diskurs um nachhaltige Entwicklung. Schließlich bedeutet Nachhaltigkeit immer auch Bewahrung von Bestehendem, während die natürliche Entwicklung häufig mit Wandel verbunden ist (vgl. Bojanowski 2014: 8).

Basierend auf den vielfältigen angesprochenen Aspekten von Nachhaltigkeit bzw. nachhaltiger Entwicklung wurden in der wissenschaftlichen Debatte verschiedene Modelle entwickelt, wie das Konzept am besten auch bildlich dargestellt werden könnte (siehe Pufé 2014: 18).

 

 

Inzwischen hat das Konzept der nachhaltigen Entwicklung auch auf die Wirtschaft Einfluss genommen – zumindest oberflächlich. Beispielsweise verfassen ca. 90% der Unternehmen, die im Deutschen Aktienindex DAX erfasst sind, so genannte Nachhaltigkeitsberichte, in denen die Bemühungen der Unternehmen für Umweltschutz und nachhaltiges Wirtschaften aufgelistet werden (vgl. Bauchmüller 2014: 4). Es gibt einen Dow Jones Sustainability Index, der Firmen neben ihrer finanziell-ökonomischen Performance auch für ihre Nachhaltigkeitsstrategien bewertet (vgl. Pufé 2014: 18). Viele Unternehmen betreiben auch ökologische „Kompensationsprogramme“, wie etwa regelmäßig Bäume pflanzen zu lassen, um den Verbrauch von Papier und anderen Rohstoffen in der täglichen Arbeit zu kompensieren. Manchmal erscheint es schwierig, tatsächlich ernst gemeinte Bemühungen von PR-orientiertem greenwashing von Firmen-Images zu unterscheiden (vgl. Bauchmüller 2014: 4). Die bestehende Konjunktur des Nachhaltigkeitsbegriffs und seine (manchmal unreflektierte) Anwendung in immer neuen Kontexten können zu einer Überdehnung des Konzepts führen, sodass letztendlich alles und nichts mit „nachhaltiger Entwicklung“ gemeint sein kann. Um zu verhindern, dass der Nachhaltigkeitsbegriff zu einer „Leerformel“ verkommt, schlagen die Bildungs- und Kommunikationswissenschaftler*innen Erben und de Haan vor, folgende Fragen zu stellen und gesellschaftlich auszuhandeln (Erben/de Haan 2014: 21f):

– Führt das Handeln – ob individuell, auf Seiten der Wirtschaft, der politischen Steuerung, in den Institutionen – zu einer Reduktion des ökologischen Fußabdrucks (footprint)?

– Dient das staatliche, wirtschaftliche und zivilgesellschaftliche Handeln der Steigerung der Wohlfahrt und des Wohlbefindens, also der Verbesserung der Lebensqualität?

– Befördert das Handeln in der Politik, in den Unternehmen, in den Institutionen und zivilgesellschaftlichen Zusammenschlüssen die Teilhabe aller an den Entscheidungs- und Gestaltungsprozessen (handprint)?

Neben den vielfältigen inhaltlichen Aspekten von Nachhaltigkeit, die bereits herausgearbeitet wurden, ist daher als „methodischer Zugang“ die Beteiligung der Menschen an nachhaltigen Konzepten zentral. Die Debatte um Nachhaltigkeit wird in vielen gesellschaftspolitischen und wissenschaftlichen Bereichen geführt. Daher sollen im Folgenden einige Ansätze erörtert werden, bei denen versucht wird, die Teilhabe an der (politischen) Gestaltung unserer Gesellschaft in einem nachhaltigen Sinne zu stärken.

Demokratie und Nachhaltigkeit

Es wird häufig festgehalten, dass der Prozess der nachhaltigen Entwicklung bzw. der nachhaltigen Veränderung bestehender Strukturen die Beteiligung und Identifikation möglichst vieler Menschen brauche, um zu funktionieren. Dies ist Grundlage der Agenda 21, die der Beteiligung der Zivilgesellschaft großen Stellenwert beimisst (UN-Konferenz 1992) und wird von einigen Autor*innen als eine Voraussetzung für die erfolgreiche Umsetzung von neuen, nachhaltigen Konzepten in Politik und Wirtschaft angesehen. So beschreiben beispielsweise Leggewie und Welzer politische und bürgerschaftliche Partizipation als integralen Bestandteil einer „Klimapolitik von unten“ (Leggewie/Welzer 2008/2009: 29). Demnach könne der Umbau der Industriegesellschaft nur funktionieren, „wenn er als Projekt angelegt wird, in das sich die Gesellschaftsmitglieder identitär einschreiben können, ihn also als ihr Projekt begreifen (…). Das wiederum geht nur, wenn das Politikangebot partizipatorisch und aktivierend gedacht ist“ (Leggewie/Welzer 2009: 30). Nachhaltigkeit – verstanden als handlungsleitendes Prinzip – funktioniert also nur, wenn Bürger und Bürgerinnen in Entscheidungsprozesse eingebunden und überhaupt dazu fähig und bereit sind, sich am Prozess der nachhaltigen Entwicklung zu beteiligen. In dieser Herangehensweise wird das Konzept der Nachhaltigkeit stark mit Partizipation sowie mit demokratischen gesellschaftlichen Prozessen verknüpft. „Der Nachhaltigkeitsgedanke beruht letztlich auf einer außerwissenschaftlichen, lebensweltlichen Vision und seine Umsetzung bedarf eines gesellschaftlichen Aushandlungsprozesses“ (Jessel 2013: 73). Häufig wird zwar ein schleichender Erosionsprozess der Demokratie beobachtet, da „mehr und mehr Politikbereiche aus den Parlamenten ausgelagert und der vermeintlichen Expertise externer Kommissionen unterstellt werden (vgl. Müller 2011: 16); aber gerade in der Revitalisierung von Teilhabe und Mitsprache, also demokratischer Partizipation, Repräsentation und Legitimation werden Chancen sowohl für die Demokratie als politisches System als auch für eine nachhaltige Entwicklung gesehen.

Demgegenüber attestieren andere Autor*innen gerade der demokratischen Regierungs- und Gesellschaftsform mangelnde Fähigkeit zur nachhaltigen Ausrichtung. Dies wird zum einen mit Parteien-, Politik- und Demokratieverdrossenheit argumentiert, zum anderen wird der Demokratie als Herrschaftsform attestiert, sie sei zu gegenwartsfixiert und richte sich nach der aggregierten Mehrheit, die allerdings nur selten mit vernünftigen Maßnahmen im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung vereinbar wäre (vgl. Embacher 2009; Blühdorn 2010: 47; Hausknost 2011). Ingolfur Blühdorn plädiert für ein offenes Nachdenken über mögliche Grenzen der Demokratie bzw. demokratisch-partizipatorischer Ansätze auch und vor allem bei „nachhaltigen“ Politikfeldern wie der Umweltpolitik. Er nennt die langfristige Nicht-Lösung der Umweltkrise aufgrund einer „auf Dauer gestellten Politik der Nicht-Nachhaltigkeit“ als durchaus mögliche (wenn auch nicht erstrebenswerte) Alternative – besonders aufgrund der starken Konsumorientierung der Menschen und der tiefen Verankerung von „wirtschaftlichen Logiken“ in unseren Lebensweisen und Handlungen (Blühdorn 2011: 21). Es besteht zwar grundsätzlicher Konsens darüber, dass es mehr Nachhaltigkeit und drastische Maßnahmen zur Begrenzung des Klimawandels brauche, jedoch ist es von diesem prinzipiellen Konsens noch ein weiter Schritt zur Veränderung der eigenen Lebensgewohnheiten und der tatsächlichen Umsetzung von nachhaltigen Strategien (vgl. Erben/de Haan 2014: 21). Andererseits waren auch technokratische Entscheidungsprozesse oder Global Governance-Strukturen bisher nicht in der Lage, nachhaltige und effektive Umweltpolitik zu betreiben (vgl. Blühdorn 2011: 26).

Freiheit der Menschen bedingt auch gesellschaftliche Verantwortung

Unsere Gesellschaft, das Wirtschaftssystem, die Umwelt, Technologien, etc. verändern sich stetig. Aufgabe des demokratischen politischen Systems ist daher unter anderem, auf diese vielfältigen Veränderungen zu reagieren bzw. diese Veränderungen in eine möglichst nachhaltige (in ökonomischer, ökologischer und sozialer Hinsicht) Richtung zu beeinflussen. Wie bereits aufgezeigt, sind umfassende Veränderungsprozesse nur möglich, wenn die Mehrheit der Menschen sie mittragen, sich mit ihnen identifizieren und sie auch – zumindest bis zu einem gewissen Grad – mitgestalten können. Eine wichtige Frage, die daher anfangs gestellt werden muss, ist „Wie kann man den Prozess des Wandels so attraktiv gestalten, dass Menschen aus unterschiedlichsten Bereichen die Zielrichtungen des Wandels aufnehmen und ihm Vorschub leisten?“ (Heinecke et al. 2013: 36). Demokratische Systeme garantieren die Freiheit der Menschen – mit dieser Freiheit geht aber auch eine gesellschaftliche Verantwortung einher. Ein wichtiger Aspekt in der Debatte um die Stärkung von Demokratie und Teilhaberechten im Sinne der Nachhaltigkeit sind daher die Rahmenbedingungen, welche sinnvolle und nachhaltige Teilhabe an demokratischen Prozessen (auf den verschiedenen politischen Ebenen) benötigen. Die Politologin Rita Trattnigg und die Historikerin Petra Schneider weisen denn auch darauf hin, dass Partizipation keineswegs als Allheilmittel betrachtet werden dürfe, da entscheidend sei, „wer mit welchen Interessen woran partizipiert“ (Trattnigg/Schneider 2011: 7). Das ambivalente Verhältnis von Demokratie und Nachhaltigkeit kann anhand von verschiedenen Politikbereichen analysiert werden. Die folgenden Ausführungen beziehen sich auf Beiträge der genannten Autor*innen zum Sammelband „Demokratie als Beitrag zu einer nachhaltigen Gesellschaft“, herausgegeben vom Demokratiezentrum Wien, das im Frühjahr 2016 erschienen ist. Die Beiträge beschäftigen sich mit der Frage der nachhaltigen Entwicklung in verschiedenen Themenbereichen.