Nachhaltigkeit durch politischen Konsum und Internetaktivismus?
Sigrid Baringhorst beschäftigt sich in ihrem Beitrag „Nachhaltigkeit durch politischen Konsum und Internetaktivismus – Neue Engagementformen zwischen postdemokratischer Partizipation und demokratischem Experimentalismus“ mit der widersprüchlichen Entwicklung, dass einerseits der politische Raum scheinbar kleiner wird und viele Themen entpolitisiert und in intransparenten Foren verhandelt werden und andererseits zunehmend intensivere Formen der Partizipation von Bürger*innen eingefordert werden. In diesem Kontext, erleichtert durch neue technologische Möglichkeiten wie etwa Social Media, entstanden und verbreiteten sich neue Formen von Aktivismus, Beteiligung und Möglichkeiten der Meinungsäußerung. Diese beziehen sich häufig auf individuellen Konsum, Fragen der Lebensführung und Normen sozialer Verantwortlichkeit. Dabei ist nicht eindeutig festzumachen, ob solche Formen der Beteiligung als politische Partizipation verstanden werden können oder sollen. Ein zunehmend „globales Bewusstsein“ der Auswirkungen unserer Handlungen und Lebensstile auf die Umwelt, andere Menschen und nachfolgende Generationen – verstärkt durch mediale Berichterstattungen – beeinflusst zunehmend das (Konsum-)Verhalten von (jungen) Menschen.
Dabei ist häufig nicht klar, inwiefern die Menschen selbst diese Handlungen als politisch motiviert oder als Beitrag zur politischen Debatte verstehen und inwiefern beispielsweise bewusster Konsum aus politikwissenschaftlicher Sicht als politische Teilhabe verstanden werden kann oder soll. Baringhorst stellt zwei Argumentationsstränge innerhalb der Politikwissenschaft gegenüber: Einerseits wird argumentiert, dass Konsumhandlungen und andere Aktionsformen außerhalb des institutionellen Rahmens der Demokratie nicht überbewertet werden dürfen, vor allem weil sich solches Engagement nur auf single issues beziehe und die Menschen sich meist nur beteiligen wollen, wenn ihre eigenen Interessen unmittelbar betroffen sind. Diese Ansicht wird etwa von Ingolfur Blühdorn und seinem Konzept der „simulativen Demokratie“ oder auch von Michael Greven vertreten.
Demgegenüber steht eine Argumentationslinie, die die Möglichkeiten des Internets zur Schaffung neuer, nicht hierarchischer Formen des öffentlichen Raums, der öffentlichen Kommunikation und zur Stärkung ressourcenarmer individueller wie kollektiver Akteur*innen konzeptualisieren. Niederschwellige, kurzfristige Partizipationsmöglichkeiten entsprächen dem neueren politischen Bewusstsein, das nicht mehr auf langfristige (Partei-)Gebundenheit oder fixe Weltanschauungen gerichtet sei. Die Verbindung von politischer Meinungsbildung und bewussten Konsumentscheidungen deute laut Baringhorst auf eine zunehmende Verbindung der ursprünglich getrennten Sphären „Oikos“ und „Polis“, also öffentlichem und politischem Raum, hin. Daher passen diese neuen Formen von Aktivismus oder Beteiligung nur schwerlich in herkömmliche Konzepte von Partizipation und politischem Bewusstsein.
In diesem Zusammenhang ist es von großer Bedeutung, welchen Politikbegriff man zugrunde legt. Geht man von einem engem Politikbegriff aus, der sich vorwiegend auf institutionalisierte Formen der repräsentativen Demokratie beschränkt, wie das Blühdorn und Greven tun, so kann bewusster Konsum oder Online-Petitionen und ähnliches klarerweise nicht als „politische Beteiligung“ konzeptionalisiert werden. Auch viele User*innen selbst sehen diese Handlungsformen häufig nicht als politisch, sondern als private, persönliche Entscheidungen, wie eine Studie unter Beteiligung Baringhorsts ergab. Öffnet man jedoch den Politikbegriff und versteht individuelle wie kollektive Handlungen, die sich mit globalen Herausforderungen oder Ungerechtigkeiten unserer Zeit beschäftigen und versuchen, Lösungswege zu entwickeln und die Gesellschaft mitzugestalten, ebenso als Beitrag zur politischen Debatte, so können große Teile des so genannten „Klicktivismus“ oder privaten Konsumentscheidungen sehr wohl als Weiterentwicklung des demokratischen Raums verstanden werden. „Zu fragen ist jeweils im Einzelnen nach ihrem Beitrag zu einem demokratischen Experimentalismus, zu einem pragmatischen Weg der Lösung der strukturellen Probleme des 21. Jahrhunderts“, schlussfolgert Baringhorst.
Eine nachhaltige Stadt
Die Weiterentwicklung von (wachsenden) Städten wird heute ebenfalls unter dem Schwerpunkt der Nachhaltigkeit diskutiert. Weltweit wachsen die Städte und mit ihnen der Bedarf nach funktionierender Infrastruktur wie beispielsweise Straßen, öffentlichem Verkehr, Trinkwasser- und Abwasserversorgung, Energieversorgung, Bildungsangeboten sowie Einkaufsmöglichkeiten. Gerade in Städten ist es daher wichtig, dass effizient mit Ressourcen umgegangen wird, um die Kosten in Grenzen zu halten und Engpässe zu vermeiden. Darüber hinaus können besonders in Städten innovative Formen der Nutzung von (öffentlichen) Gütern erprobt und praktiziert werden. Verschiedene Formen des Teilens, Weitergebens und gemeinsam Nutzens stellen einen Aspekt der möglichen nachhaltigen Nutzungsformen von knappen Ressourcen dar. So haben Projekte wie Coworking Spaces, urban gardening, Carsharing, Grätzl-Gemeinschaften, Werkzeuge teilen, Kleiderkreisel, Reperatur Cafés etc. in den letzten Jahren an Beliebtheit gewonnen. Dabei geht es nicht nur um das Knüpfen sozialer Kontakte, sondern auch um das gemeinsame und bewusste Nutzen von Ressourcen und Infrastruktur. „Auch wenn klar ist, dass es deutliche technische Innovationssprünge braucht, um die Lebensform Stadt mit ihren Mobilitäts-, Wohn- und Freizeitstrukturen ressourcenärmer zu gestalten, so liegt die entscheidende Herausforderung in der sozialen Dimension: Die Neuausrichtung von Städten im Bestand ist ein teils langsamer, teils sprunghafter Umverteilungsprozess von Optionen und Gewohnheiten, von Finanzen und Ressourcen, bei dem die Politik und Verwaltung auf die Mitwirkung der in der Stadt lebenden Menschen angewiesen ist.“ (Müller-Christ/Nikisch 2013: 249). Wiederum werden zwei wichtige Dimensionen von nachhaltiger Entwicklung angesprochen: Technische Lösungen und Beteiligung der Betroffenen. Das bedeutet auch, dass nachhaltige Entwicklung ein Zusammenspiel von top-down (technische Innovationen, politische Entscheidungen, Planungsstrategien) und bottom-up (Beteiligung der Menschen, konkrete Ausgestaltung von Konzepten) Ansätzen braucht.
Diese beiden Aspekte betont auch Barbara Saringer-Bory in ihrem Artikel „Smart City Wien und Partizipation in der Stadtplanung“. Sie erklärt das Konzept der Smart Cities wie folgt: „[Eine Smart City] versucht, durch produktiven Einsatz von innovativen Technologien vorhandenes Wissen und Strukturen zu bündeln und weiterzuentwickeln, dabei ressourcenschonend vorzugehen und im Sinne der Nachhaltigkeit und der Steigerung der Lebensqualität eine ganzheitliche Sichtweise einzunehmen“. Saringer-Bory zeichnet verschiedene historische Paradigmen der Stadtplanung nach und kommt zu dem Schluss, dass etwa seit den 1980er Jahren der Mensch und seine Bedürfnisse sowie ökologische Überlegungen im Mittelpunkt stadtplanerischer Konzepte stehen. Das Konzept der Smart Cities wird seit 2010 auch in Wien umgesetzt. Sie benennt drei wichtige Aspekte:
- Aktivitäten zur Senkung des CO2-Ausstoßes unter Verwendung moderner Informations- und Kommunikationstechnologien
- Lebensqualität und Nachhaltigkeit
- Nachhaltige Geschäftsmodelle, Governance und Partizipation
Die Autorin weist darauf hin, dass im Bereich der Stadtplanung und -Entwicklung eine Vielzahl von Akteur*innen mit sehr vielschichtigen und manchmal gegensätzlichen Interessen zusammenarbeiten muss, um eine nachhaltige Weiterentwicklung der Stadt zu ermöglichen. Besonders wichtig sei dabei die Einbindung der Bewohner*innen als Nutzer*innen von Infrastruktur, als Verkehrsteilnehmer*innen, als Konsument*innen, Anrainer*innen sowie als Bürger*innen. Konsequenterweise merkt Saringer-Bory an, dass Politik oder Stadtverwaltung zwar Konzepte entwerfen oder Regelungen aufstellen können, um beispielsweise den Energieverbrauch einer Stadt zu senken – letztendlich kommt es jedoch vorwiegend auf das Verhalten der Bürger*innen an, ob neue Konzepte tatsächlich umgesetzt werden und gesteckte Ziele erreicht werden können. Nachhaltigkeit im Bereich der Stadtplanung wird daher als top-down Ansatz beschrieben, der ohne die Beteiligung der Bürger*innen, also ohne bottom-up, nicht funktioniert – ebenso wie Leggewie und Welzer dies bereits für die Klimapolitik herausgearbeitet haben und wie auch der Ansatz der „Lokalen Agenda 21“ konzipiert ist.
Die Stadt Wien hat 2014 eine Smart City Rahmenstrategie beschlossen, die in einem breiten Beteiligungsprozess gemeinsam mit über 100 städtischen Akteur*innen erarbeitet wurde. Die drei Hauptbereiche der Rahmenstrategie sind Lebensqualität, Ressourcenschonung und Innovation. Dabei wurde kein rein „technologischer“ Ansatz für das Smart City Konzept gewählt, sondern partizipative Verfahren zur Erarbeitung neuer Lösungen und Strategien für eine nachhaltige Stadtentwicklung sollen gestärkt bzw. verbessert werden. Dies setzt eine breite Beteiligung möglichst vieler verschiedener Akteur*innen aus Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Zivilgesellschaft und eine Identifikation der Menschen mit den jeweiligen Projekten voraus. Damit können einerseits Ideen und kreative Potenziale von vielen verschiedenen Menschen für die Erarbeitung von nachhaltigen Konzepten genützt werden. Andererseits kann das gesellschaftspolitische Bewusstsein der Bewohner*innen einer Stadt gestärkt werden, da sie erkennen, dass positive und nachhaltige Veränderungen in der Gesellschaft Engagement und Teilhabe benötigen. Dabei muss auch festgehalten und in Erinnerung gerufen werden, dass Beteiligungsprozesse ein Lernprozess für alle Beteiligten sind, sei es für die Politik, für die Verwaltung, die Stadtplaner*innen wie auch für die Bewohner*innen und Nutzer*innen der Stadt. Insgesamt kommt Saringer-Bory zu dem Schluss, dass ein Smart City-Konzept, wie es für die Stadt Wien entwickelt wurde, einen wichtigen Beitrag zu einer nachhaltigen und partizipativen Stadtentwicklung leisten kann.
Bildung für eine nachhaltige Gesellschaft
Gesamtgesellschaftliches und politisches Streben nach nachhaltiger Entwicklung muss sich notwendigerweise auch in der Bildung der (künftigen) Bürger*innen niederschlagen. Franz Rauch führt in seinem Beitrag „Bildung für eine nachhaltige Gesellschaft – Konzepte und Befunde aus österreichischer Perspektive“ aus, dass nachhaltige Wirtschaft und Gesellschaft nur Ergebnis eines „gesellschaftlichen Such-, Lern- und Gestaltungsprozesses sein“ können, da nachhaltige Entwicklung keine „klar definierte konkrete Zielvorgabe“, sondern eher ein Leitbild sei. Bildung kommt dabei eine Schlüsselrolle zu, da die Entwicklung zu einer nachhaltigen Gesellschaft und Wirtschaft hohe Anforderungen an jede/n Einzelne/n stellt. Konzepte zur Rolle der Bildung für eine gesamtgesellschaftliche nachhaltige Entwicklung werden unter dem Konzept „Bildung für Nachhaltige Entwicklung (BNE)“ zusammengefasst. BNE fokussiert aus Problemlösungskompetenzen und Handlungsorientierung, um globale Probleme als bewältigbar darzustellen und nicht eine frustrierte, sich ohnmächtig fühlende junge Generation auszubilden. Wichtig ist auch, klar herauszuarbeiten, dass „nachhaltig“ nicht eine einheitliche, allgemeingültige Bedeutung hat, sondern dass nachhaltige Entwicklung von räumlichen und zeitlichen Bedingungen geprägt wird und konkrete Konzepte jeweils gesellschaftlich ausgehandelt werden müssen. Im Vordergrund steht die Stärkung von Kompetenzen, um Menschen in die Lage zu versetzen, ihr eigenes Leben und ihr Umfeld zu gestalten und eigene Handlungen und Einstellungen kritisch zu reflektieren, um zu einer nachhaltigen Entwicklung beizutragen. Diese angesprochenen Kompetenzen für BNE sind jedoch noch nicht in einem konkreten Modell ausformuliert worden. Wichtig sind aber jedenfalls soziale Kompetenzen, Team- und Gruppenkompetenz sowie Problemlösungs-kompetenz. Die gemeinschaftliche Arbeit für eine langfristige Veränderung der Gesellschaft in Richtung mehr Nachhaltigkeit steht im Vordergrund.
Rauch stellt auch konkrete Bildungsprojekte in Österreich vor, etwas das Schulnetzwerk ÖKOLOG, dessen Ziel die Verankerung von BNE an den Schulen ist: „Die Vision von ÖKOLOG ist eine ökologisch, sozial sowie wirtschaftlich nachhaltige Gestaltung des Lebensraums Schule, an der alle mitwirken und bereit sind, dafür Verantwortung zu übernehmen.“ Es geht nicht nur um die Veränderung von Lerninhalten oder Lehrmethoden, sondern um die aktive Gestaltung der schulinternen wie –externen Umwelt. Interdisziplinarität und verantwortungsbewusstes Handeln stehen dabei im Vordergrund. Die Rolle von Bildung als kompetenzorientiertes, tendenziell systemveränderndes Instrument im Bereich der Nachhaltigkeit wird dadurch hervorgehoben. „Bildung bezieht sich dabei auf die Fähigkeit zur reflexiven, verantwortungsbewussten Mitgestaltung der Gesellschaft im Sinne einer nachhaltigen Zukunftsentwicklung“.