Wer die medial aufbereiteten Auseinandersetzungen und Debatten des Jahres 2006 verfolgte, konnte den Eindruck gewinnen, dass Samuel Huntingtons düstere Vision vom „Clash der Kulturen“ Wirklichkeit geworden ist. Religionskritische Äußerungen, Kunstwerke und Zeichnungen aus dem „Westen“ sorgten weltweit bei manchen Muslimen für Empörung, die sich in zum Teil gewalttätigen Protesten entlud. Zielscheibe waren nur allzu oft christliche Minderheiten und ihre Einrichtungen, womit jene, die hier den Islam zu repräsentieren vorgaben, alle Vorurteile über die Gewalttätigkeit und Irrationalität dieser Religion zu bestätigen schienen. Künstler*innen sahen sich mit Drohungen radikaler muslimischer Organisationen konfrontiert, und in den medialen Debatten im „Westen“ mehrten sich kritische Stimmen, die eine Aushöhlung der Freiheit der Meinung und der Kunst durch übertriebene Rücksichtnahme auf den Islam befürchteten.
Doch auch „der Westen“ erfüllte nur allzu oft Klischees, anstatt eine rationale politische Auseinandersetzung zu suchen. Zwischen den Positionen jener, die den Respekt vor religiösen Gefühlen über die Prinzipien der Aufklärung und das Grundrecht auf Meinungsfreiheit stellten, und jenen, denen Kritik am Islam gerade recht kam, um fremdenfeindliche Ressentiments zu legitimieren, blieb wenig Platz für differenzierte Stellungnahmen, die sich dem diskursiven Kurzschluss von Religion, Kultur und Politik entzogen. Dabei ist die Sachlage um vieles komplizierter: Nicht zu Unrecht wurde etwa darauf hingewiesen, dass in dem scheinbaren Respekt, der sich in der Vermeidung jeglicher „Provokation“ gegenüber dem Islam äußert, eine Menge Herablassung steckt, und dass gerade säkular orientierte Muslime zu den schärfsten Kritiker*innen des politischen Islam und den überzeugtesten Vertreter*innen der Werte der Aufklärung zählen. Demgegenüber wird die reale politische Bedrohung durch islamistische Gruppierungen, die jede weltliche Ordnung islamischen Gesetzen unterordnen wollen, in der öffentlichen Debatte sehr rasch zu einer Bedrohung „unserer Kultur“ durch „den Islam“ umgedeutet. Anstatt den Alleinvertretungsanspruch radikaler Gruppen entschieden zu bestreiten, wird dieser damit bestätigt. Die Rechnung für diese Vereinfachung bezahlen in Europa Migrant*innen – völlig unabhängig davon, ob sie nun gläubige Muslime sind oder nicht.
Wenn man sich die folgenden Diskurse ansieht, bemerkt man, dass sich ein bestimmtes Muster vom „Westen“ gegen „den Orient“ abzeichnet. Dieses Phänomen wurde schon von Edward Said, einem US-amerikanischen Literaturtheoretiker und -kritiker, in seinem Werk „Orientalism“ (1978) analysiert und beschrieben. Der Autor zeigt dabei auf, dass „Orient“ dabei kein unschuldiger Begriff ist, sondern mehr ein ein von europäischen Autoren entworfenes Konstrukt, welches schon seit Jahrhunderten auf einen geographischen Sektor projiziert wird. Dabei stellt die Erstellung und Abgrenzung dieses Konstrukts einen wichtigen Teil der Entwicklung des Okzidents dar, da es dabei half ein Kontrastbild zu kreieren. Diese verfestigte Haltung führte dazu, dass es sogar in unserer heutigen Zeit immer noch zu negativen Verallgemeinerungen des „Orients“ und der damit häufig verbundenen islamischen Glaubensgemeinschaft seitens des „Westens“ kommt.