Auch fünf Jahre nach dem schrecklichen Anschlag auf Frankreichs berühmteste Satirezeitschrift Charlie Hebdo, hatte sich die Lage rund um die Karikaturen des Propheten Mohammed nicht beruhigt. Als im September 2020 der Prozess für den Angriff auf die Redaktion startete, kam es auch hier wieder zu einer Messerattacke vor dem ehemaligen Redaktionsgebäude des Magazins (Frankfurter Allgemeine, 25.09.2020). Einige Wochen später sollte es dann auch zu einem Vorfall kommen, welcher nicht nur in Frankreich für großen Aufruhr sorgte, sondern in der ganzen Welt heftige Reaktionen auslöste; der Geschichtslehrer Samuel Paty wurde auf offener Straße ermordet, nachdem er Karikaturen über Mohammed in seinem Unterricht zum Thema Meinungsfreiheit einbaute.
Reaktionen über den Vorfall
Nicht lange nach der Tat verkündete der französische Staatschef, dass es sich um einen islamistischen Terroranschlag handelte und kündigte ein strengeres Vorgehen gegen Islamisten an. Dabei sollten Moscheen und Schulen stärkeren Kontrollen unterzogen werden (Zeit, 24.10.2020). Auch der französische Finanzminister Bruno Le Maire sprach davon, die Finanzflüsse islamistischer Vereine genauer zu beobachten (Spiegel, 18.10.2020).
Starke Kritik erntete Macron von Recap Tayyip Erdogan, dem türkischen Präsidenten. Dieser meinte, der französische Präsident würde „anti-islamische und anti-muslimische Debatten“ zu seinen Gunsten verwenden, um von eigenem politischen Versagen ablenken zu können (Kurier, 20.10.2020). Infolgedessen kam es auch zu einem Aufruf Erdogans an die türkische Bevölkerung, welcher sie anhielt, alle französischen Waren zu boykottieren. Auch die arabischen Länder Kuwait, Jordanien und Katar sahen in Macrons Vorgehensweise eine „islamfeindliche Kampagne unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit“ und stiegen in den Boykott französischer Waren ein (Süddeutsche Zeitung, 26.06.2020).
Schule als Spiegel der Gesellschaft
Vor allem unter französischen Lehrer*innen kam es zu großen Unsicherheiten. Einige sahen sich durch diese Bluttat dazu berufen, für ihren verstorbenen Kollegen einzustehen und den laizistischen Staat und dessen Werte zu verteidigen (Spiegel, 19.19.2020). Aber auch die Angst als nächstes Opfer eines Anschlags zu enden, machte sich unter vielen Pädagog*innen breit.
Als pädagogische Antwort auf den Anschlag, wurde von den Lehrpersonen gefordert bis Ende des ersten Schulmonats nach der Tat eine Einheit über Meinungsfreiheit zu halten. Der Einbezug von Mohammed-Karikaturen stand den Pädagog*innen dabei offen (Zeit, 02.09.2020). Der kritische Diskurs über die Verwendung jener Karikaturen breitete sich über die französischen Grenze hinaus aus und wurde seit dem Zeitpunkt des Anschlags stärker geführt denn je. Einige Stimmen sind der Meinung, dass gerade in Zeiten wie diesen nicht zurückgerudert werden dürfe, um sich den Forderungen anderer Kulturen nicht beugen zu müssen. Andererseits sieht zum Beispiel Hessens Kulturministerium auch ein gewisses Konfliktpotential, welches mit diesem Thema einhergehen könnte und rät daher vom Einbezug dieser Medien ab, um islamistische Radikalisierungen nicht zu fördern (Welt, 19.04.2021)
Dabei scheint es, als würde die Diskussion zu oft nur auf emotionaler Ebene statt auf sachlicher Ebene gehalten werden, was dazu führen kann, dass nicht nach bestem Wissen und Gewissen für die Schüler*innen gehandelt wird. Der Islam- und Sozialwissenschaftler Götz Nordbruch versucht diesem Problem in einem Beitrag der deutschen Bundeszentrale für politische Bildung entgegenzutreten und analysiert die Sinnhaftigkeit der Einbeziehung der Karikaturen an den Grundsätzen des Beutelsbacher Konsens. Hierbei kommt er zu folgenden Erkenntnissen:
- Das Kontroversitätsgebot sollte nicht ohne Reflexion dafür genutzt werden, jedes kontroverse Thema im Unterricht einbauen zu dürfen. Wie auch beim Judentum lassen sich religionskritische Inhalte über den Islam in Deutschland und Österreich nicht einfach von rassistischen Diskursen trennen. Natürlich bestehe immer die Möglichkeit der Verwendung, dabei sollte sich die Lehrperson jedoch vollends im Klaren sein, ungewollte Ressentiments gegenüber der kritisierten Religionen und deren Anhänger bedienen zu können, auch wenn dies nicht beabsichtigt wurde.
- Nordbruch meint, dass die emotionale Vorbelastung der Karikaturen in Hinsicht auf islamistische Anschläge und rassistische Instrumentalisierungen, es auch schwer macht das Überwältigungsverbot nicht zu brechen. Der Einbau dieses Mediums in Bezug auf Meinungsfreiheit könne vor allem bei muslimischen Schüler*innen als „pädagogischer Übergriff“ statt als „pädagogische Vorgehensweise“ gewertet werden.
- Nach dem Grundsatz der Schülerorientierung müsste laut Nordbruch die Verwendung religionskritischer Karikaturen so gehandhabt werden, dass Schüler*innen selbst über Handlungsmöglichkeiten nachdenken können, um sich eine eigene, reflektierte Meinung bilden zu können. Dies müsse auch unter der Einbeziehung der Erfahrungen und Interessen der Schüler*innen selbst geschehen können.
Wenn die Lehrperson sich vergewissere, dass diese Grundsätze eingehalten werden und es ausgeschlossen sei, sie würde im Vorwand handeln, ihre Schüler*innen verletzen zu wollen, ist es laut Nordbruch möglich dieses sensible Thema zu besprechen. Man solle sich nur immer vor Augen halten, dass nicht jede Klasse als heterogen betrachtet werden dürfe und daher die Vorgehensweisen stark voneinander abweichen können und müssen.