Ein Beispiel für den schwierigen Umgang mit vermeintlichen und realen Bedrohungen war die Auseinandersetzung um die Mozart-Oper „Idomeneo“ im Herbst 2006 in Berlin: In der ursprünglichen Fassung der Opfer verspricht Idomeneo, König von Kreta, dem Gott Poseidon ein Menschenopfer als Dank für die Rettung aus Seenot. Prompt fällt die Wahl des Schicksals auf Idomeneos eigenen Sohn. Die Originalfassung der Oper hat ein Happy End; in letzter Sekunde rettet die Stimme des Orakels den Königssohn vor dem Tod. Hans Neuenfels erweiterte seine Inszenierung an der Deutschen Oper in Berlin um einen Epilog, in dem der Hauptcharakter die abgeschnittenen Köpfe Poseidons, Buddhas, Jesus‘ und Mohammeds präsentiert, was auf das Gewaltpotential aller Religionen hinweisen soll. Die Intendantin der Berliner Oper, Kirsten Harms, setzte die Wiederaufnahme dieser Inszenierung aus Sicherheitsbedenken ab. Soweit sich den – teils widersprüchlichen – Medienberichten entnehmen ließ, hatte der Staatsschutz bei einer Gefahrenanalyse im Juli 2006 ein gewisses Risiko (etwa durch Demonstrationen oder Sachbeschädigung) festgestellt, islamistische Drohungen oder konkrete Hinweise auf einen Angriff waren jedoch keine eingegangen.
Nach der Bekanntgabe der Entscheidung der Intendantin ging ein Sturm der Entrüstung durch die politische Landschaft und den Feuilleton. In einer – genau betrachtet fragwürdigen – Wendung des Freiheitsbegriffs verordneten Politiker*innen aller Couleur der Oper mehr Mut zur Verteidigung der Freiheit der Kunst. Muslimische Verbände rangen um einen Kompromiss zwischen religiös und demokratisch akzeptablen Stellungnahmen, vor allem aber um Schadensbegrenzung: Schließlich war der medial häufig zitierte „Kniefall vor religiösen Eiferern“ erfolgt, bevor von muslimischer Seite irgendein Protest gegen die Aufführung geäußert worden war.
Als die Oper am 18. Dezember 2006 unter starken Sicherheitsvorkehrungen schließlich doch auf die Bühne gebracht wurde – der abgeschlagene Kopf Mohammeds wurde dabei verhüllt präsentiert – blieb Protest, der über Unmutsbekundungen aus dem Publikum hinausgegangen wäre, aus. Einige Vertreter*innen muslimischer Vereinigungen folgten demonstrativ der Einladung von Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble zum gemeinsamen Opernbesuch, andere blieben ihr fern, da sie eine Instrumentalisierung durch die Politik befürchteten.
Stefanie Mayer
Last Update: 09/2021