Positionen – Der „Karikaturenstreit“ in der österreichischen Öffentlichkeit

Der Streit um die von der dänischen Zeitung Jyllands-Posten veröffentlichten satirischen Darstellungen des Propheten Mohammed fand auch in der österreichischen Öffentlichkeit seinen Niederschlag. Dabei ist auch zu bedenken, dass Österreich im ersten Halbjahr 2006 den Vorsitz innerhalb der EU führte und insofern den österreichischen Debatten größere Bedeutung zukam.

Die folgende Sammlung zentraler Argumentationslinien stellt keine systematische Analyse dar, sondern soll lediglich die Vielschichtigkeit der Debatte dokumentieren.

Parteien und Politiker*innen

In den öffentlichen Reaktionen der österreichischen Parteien auf den Karikaturenstreit spiegeln sich deren grundsätzliche Haltungen zu Religion und Meinungsfreiheit einerseits und zur islamischen Minderheit in Europa andererseits wider.

Wenig überraschend ist daher, dass die FPÖ sich entschieden auf die Seite Dänemarks stellte. In einem auf ihrer Website veröffentlichten Brief an Pia Kjaersgaard, die damalige Vorsitzende der rechtspopulistischen Dansk Folkeparti, brachten der ehemalige Abgeordnete zum Europaparlament Andreas Mölzer, Parteichef Heinz-Christian Strache und der damalige Präsident der Freiheitlichen Akademie Ewald Stadler, „die Solidarität der breiten Mehrheit der österreichischen Bevölkerung“ zum Ausdruck. Zentraler Angelpunkt dieser Argumentation war die Einschreibung der Debatte um die Karikaturen in eine breitere politische Linie gegen Zuwanderung. Andreas Mölzer:

„Die Ausschreitungen, die sich gegen dänische Einrichtungen und gegen jene anderer europäischer Staaten richten, sind eine Bestätigung der Linie der Dänischen Volkspartei wie auch der FPÖ, die in der Vergangenheit stets vor den Gefahren einer schrankenlosen Zuwanderung aus den islamischen Ländern gewarnt und die eine vollständige und vorbehaltlose Akzeptanz der Werte und der Kultur des jeweiligen Gastlandes seitens der Zuwanderer gefordert haben.“ (ots.at, 09.02.2006) Eine enge Verbindung wurde auch zur Ablehnung eines türkischen EU-Beitritts hergestellt.

Uneinheitlich argumentierten die österreichischen Grünen: Der damalige Europasprecher und Abgeordnete zum Europäischen Parlament Johannes Voggenhuber kritisierte die österreichische EU-Ratspräsidentschaft scharf wegen mangelnder Klarheit in der Verteidigung der Meinungsfreiheit. „Während in Europa unter massivem Druck von Seiten islamischer Regierungen große, angesehene Zeitungen die Karikaturen nachdrucken, um ein Zeichen zu setzen gegen den unerträglichen Versuch, die Freiheit zu Satire und Karikatur mit dem Argument der Herabwürdigung der Religion einzuschränken, fühlt sich die Ratspräsidentschaft bemüßigt von ‚tiefen Bedauern und unglücklichem Vorfall‘ zu faseln“, so Voggenhuber (ots.at, 02.02.2006). Der damalige Bundessprecher Alexander van der Bellen argumentierte vorsichtiger. Im Interview mit dem Magazin Profil verlieh er seinem Unbehagen Ausdruck: „Voltaire, als Synonym für die Aufklärung, hat nach oben geschlagen. Die betroffene dänische Tageszeitung hat nach unten getreten: gegen eine religiöse Minderheit.“ (profil.at, 11.02.2006) Trotz der überragenden Bedeutung der Meinungsfreiheit sei der Abdruck der Karikaturen daher problematisch.

Für die SPÖ verurteilte der damalige Parteichef Alfred Gusenbauer am Höhepunkt des internationalen Konfliktes die Angriffe auf europäische Botschaften – insbesondere auf die österreichische Botschaft in Teheran – entschieden. Es sei „legitim und notwendig, für die hart erkämpften, von allen gesellschaftlichen Gruppen mitgetragenen, europäischen Grundwerte zu werben.“ (ots.at, 07.02.2006) Österreich und die EU sollten in dieser Richtung aktiver werden. Eine andere Position nahm Bundespräsident Heinz Fischer ein. Im EU-Parlament verurteilte er die Gewalt gegen westliche Einrichtungen in einigen islamischen Ländern, bezeichnete aber die Karikaturen als doppelt kränkend, da sie einerseits gegen das religiöse Bilderverbot verstießen und durch die „karikierende Darstellung der kränkende Tabubruch noch verstärkt“ werde (Der Standard, 20.02.2006). Respekt für die Werte des anderen und gegenseitige Rücksichtnahme seien „keine verzichtbaren Luxusartikel“ (ebd.). In einigen österreichischen Medien – etwa der Kleinen Zeitung (sh. unten) – sorgte Fischers Rede für kritische Reaktionen.

Die beiden Regierungsparteien bemühten sich – zumal im Zeichen des EU-Vorsitzes – um einen äußerst vorsichtigen Umgang mit dem heißen Thema. Die ÖVP setzte zwei wesentliche Initiativen, an denen deutlich wird, dass sie die Religion als Schlüssel zur Auseinandersetzung verstand: Auf Einladung des damaligen Bundeskanzlers Schüssel fand ein sogenannter „Religionsgipfel“ statt, zu dem Kardinal Schönborn, der orthodoxe Metropolit Michael Staikos, der evangelische Bischof Herwig Sturm, der Präsident der Islamischen Glaubensgemeinschaft Anas Schakfeh, Oberrabbiner Paul Chaim Eisenberg und die damalige Außenministerin Ursula Plassnik geladen waren. Im Anschluss an das 90-minütige Gespräch lobte der Bundeskanzler die österreichische Praxis des Dialogs, von der Europa „noch einiges lernen“ könne (religionv1.orf.at, 13.02.2006). Zu einem informellen Treffen im Außenministerium kamen neben dem ehemaligen dänischen Außenminister Per Stig Møller das Oberhaupt der Islamischen Religionsgemeinschaft in Bosnien Mustafa Ceric, der Großmufti von Syrien, Scheich Ahmad Badreddine Hassoun, der Präsident der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich Anas Schakfeh und der Bischof der Dänischen Volkskirche Steen Skovsgaard.

Auf internationaler Ebene ist die – medial umstrittene – gemeinsame Erklärung der Vereinten Nationen (UN), der Europäischen Union (EU) und der Organisation der Islamischen Konferenz (OIC) inhaltlich durchaus vergleichbar. Neben der Verurteilung der Gewaltakte in islamischen Staaten fand sich hier auch Verständnis für den „Ärger in der islamischen Welt über die Publikation dieser beleidigenden Karikaturen“, der „von allen Menschen und Gemeinschaften geteilt [werde], die Verständnis für die Sensitivität religiöser Überzeugungen haben.“ (Deutsche Welle, 08.02.2006) Auch die drei internationalen Organisationen betonten die Notwendigkeit eines „neuen Dialogs zwischen Gemeinschaften verschiedenen Glaubens und Regierungen unterschiedlicher Staaten“ (ebd.).

Für den kleinen österreichischen Koalitionspartner BZÖ meldete sich der damalige Kärntner Landeshauptmann Jörg Haider zu Wort, der „Verständnis“ für die Muslim*innen äußerte, deren philosophische Grundlagen angegriffen worden seien. Auch Haiders zentrales Thema war die Religion: Im Unterschied zu den lahmen „christlich-europäischen Kohorten“ seien die Muslim*innen „sehr vital“ dazu bereit, ihre religiösen Überzeugungen zu verteidigen, der Westen könne „mit anderen Religionen nicht so brutal umgehen […] wie mit der eigenen“ (Der Standard, 07.02.2006). Hier wird bereits deutlich, dass eine Fokussierung des Spannungsfelds auf die Pole „Islam“ und „Meinungsfreiheit“ zu kurz greift, da hier inter-religiöse Allianzen durchaus vorstellbar sind.

Religiöse Institutionen und Vereine

Eine ganze Reihe islamischer Vereine in Österreich veröffentlichte unter Federführung des ehemaligen Präsidenten der Islamischen Glaubensgemeinschaft, Anas Schakfeh, eine gemeinsame Erklärung, die von den Verfasser*innen als Position der Muslim*innen in Österreich präsentiert wurde. Darin fand sich eine strikte Ablehnung der Karikaturen, die einerseits mit deren herabwürdigendem Charakter, andererseits aber mit dem religiösen Darstellungsverbot an sich begründet wurde. „Islamfeindlichkeit“ sei ein europäisches Problem, wobei in diesem Zusammenhang eine Anspielung auf die Shoah in die Erklärung eingeflochten wurde: „Die Folgen gezielter Herabwürdigung einer Religion haben in der jüngsten europäischen Geschichte aufgezeigt, dass damit nicht leichtfertig umzugehen ist. Schmähungen und Herabwürdigungen des Judentums führten zur Katastrophe, zum Holocaust“ (Der Standard, 18.02.2006).

Aktuell konstatierte die Erklärung eine „Ergänzung“ oder „Ablösung“ antisemitischer durch antiislamische Feindbilder. Sie enthielt aber auch ein grundsätzliches Bekenntnis zur Meinungsfreiheit, wobei sie auf deren historische Entwicklung im Kampf gegen die Obrigkeit (und eben nicht gegenüber Minderheiten) verwies. Ein „verantwortungsvolle[r] Umgang“ und „mehr Sensibilität im Umgang mit religiösen Minderheiten“ wurden eingefordert. In der Erklärung distanzierten sich die muslimischen Vereine von gewalttätigen Ausschreitungen, insbesondere von den Angriffen auf Botschaften, und riefen zum Dialog als „am besten geeigneten Lösungsmodell“ (ebd.) auf. Ausdrücklich gelobt wurden die diplomatischen Initiativen des Bundeskanzlers und der Außenministerin. Die Gesprächsbereitschaft österreichischer Politiker*innen, aber auch die Bereitschaft der Medien, muslimischen Stimmen Raum zu geben, nannte Anas Schakfeh auch anderweitig als Grund, warum er sich gegen Demonstrationen in Österreich ausgesprochen hatte (Der Standard, 20.02.2006) (eine dennoch abgehaltene kleine Demonstration in Wien verlief ohne Zwischenfälle).

Im Anschluss an den sogenannten „Religionsgipfel“ Schüssels verurteilte Schakfeh „manche Reaktionen“ auf die Karikaturen als „überzogen“, Muslim*innen sollten ihren Protest argumentativ darlegen (ebd.). Die Sprecherin der islamischen Glaubensgemeinschaft, Carla Amina Baghajati, rief im Interview ebenfalls zu friedlichem Protest auf und verurteilte die Karikaturen scharf, wobei sie die bewusste Provokation als wesentlichen Kritikpunkt definierte. Vorsichtig formulierte sie auch Kritik an der Politik islamischer Staaten: „In einem Klima der Unterdrückung von Presse- und Meinungsfreiheit ist auf einmal ein Ventil für diverse Frustrationen gegeben.“ (w24.at, 09.02.2006).

Vertreter*innen jüdischer Verbände in Österreich nahmen nur selten – und alles andere als einheitlich – zum Konflikt Stellung. Deutliche Worte fand der damalige Vorsitzende der Israelitischen Kultusgemeinde Wien, Ariel Muzicant, im Interview mit der Presse; angesprochen auf antisemitische Karikaturen in iranischen Medien erklärte er: „Das ist der Versuch, die Juden auch noch in diese Auseinandersetzung zu ziehen. In diese Falle werden wir nicht tappen. Zum ersten Mal in vielen Jahrzehnten sind die Europäer direkt mit Islamismus konfrontiert.“ (Die Presse, 11.02.2006)

Muzicant konzentrierte sich im abgedruckten Interview auf die politische Seite des Konflikts, auf die „der Westen“ und insbesondere die Europäer zu reagieren hätten. „[D]ie Europäer werden eines Tages nicht umhin können, zu kapieren, dass der Kampf der Kulturen nicht erst kommt. Er ist schon längst da und wird in Europa ausgefochten werden. Nicht in Israel oder Amerika.“ Muzicant wies darauf hin, dass die Aufregung um die Karikaturen von einigen Regimen – namentlich Syrien und dem Iran – aus politischen Motiven geschürt worden war. Anders äußerte sich Oberrabbiner Chaim Eisenberg anlässlich des „Religionsgipfels“: Er forderte Mäßigung von allen Seiten ein und mahnte zur Verantwortung im Umgang mit der Pressefreiheit. „Auch Provokation ist eine Form von Gewalt“, so Eisenberg (Der Standard, 20.02.2006).

Für die katholische Kirche äußerte sich Kardinal Schönborn im Anschluss an den „Religionsgipfel“ besorgt über die Rhetorik vom „Kampf der Kulturen“, die auch in Österreich um sich greife. Demgegenüber gelte es, den Dialog und das Miteinander der Religionen zu stärken. Eine relativ ausführliche Stellungnahme publizierte die „Kontaktstelle für Weltreligionen“ der österreichischen Bischofskonferenz. In Teilen abstrahierte der Text den Konflikt vom Islam und bezog sich auf das Verhältnis zwischen Meinungsfreiheit und Religionen allgemein. „Die europäische Geschichte beweist nicht nur die Errungenschaften der Pressefreiheit, sondern auch ihren eklatanten Missbrauch gerade den Religionen gegenüber und damit auch die Krisen ihrer Selbstgefährdung als Verstoß gegen die Freiheit eigener Bürger,“ hieß es hier (weltreligionen.at). Die Stellungnahme schlug eine juristische Lösung des Konfliktes vor, denn „[w]o zentrale Gebiete einer transzendentalen Offenbarungsreligion – der Islam ist eine Weltreligion, keine Sekte, und sein Prophet dient als Botschafter Gottes und ist kein moderner Terrorist! – Ziel kompromittierender Attacken sind, liegen Rechtsverstöße vor“ (ebd.). Die Gewalttaten wurden von der Kontaktstelle „Extremistengruppen“ zugerechnet, die keine Legitimation besäßen, um für die Mehrheit der gläubigen Muslim*innen zu sprechen.

Auf evangelischer Seite ließen sich unterschiedliche Ansatzpunkte beobachten: Die Grazer evangelische Gemeinde Liebenau protestiert gegen die Veröffentlichung der Karikaturen in der Kleinen Zeitung mit dem Argument, dass es zwar erlaubt sein müsse „alles zu sagen und zu schreiben“, aber deshalb nicht alles gesagt und geschrieben werden müsse, was erlaubt sei (ots.at, 08.02.2006). Demgegenüber verteidigte der Theologe Ulrich Körtner in einem Kommentar in Der Standard das Grundrecht der Meinungs- und Pressefreiheit. „Dazu gehört auch das Recht auf Religionskritik, und zwar auch mit den Mitteln der Kunst und der Karikatur.“ (reformiertestadtkirche.at)

An diesen Stellungnahmen wird nochmals sehr deutlich, dass die Konfliktlinie im „Karikaturenstreit“ nicht zwingend zwischen den Religionen, sondern stärker im politischen Bereich verlief.

Weitere Kommentare

In österreichischen Medien erschien eine große Anzahl von Kommentaren zum Thema, die hier bei weitem nicht abgedeckt werden kann. Zu den interessantesten Beiträgen gehörten Gastkommentare muslimischer Autoren in Die Presse, die deutlich zeigen, dass von einer einheitlichen „muslimischen Position“ auf keinen Fall gesprochen werden kann. Der erste, vom 7. Februar 2006, stammte von Omar Al-Rawi, SPÖ-Mandatar in Wien und Integrationsbeauftragter der Islamischen Glaubensgemeinschaft. Al-Rawi sprach fünf Dimensionen des Karikaturenstreits an, die „in Summe die Situation eskalieren ließen“ (islaminitiative.at, 07.02.2006). Die ersten beiden – die Verletzung des Bilderverbots und die Herabwürdigung des Propheten durch die in den Karikaturen hergestellte Verbindung zu Gewalt und Terrorismus – bezogen sich auf die Beleidigung der Muslim*innen durch die Abbildungen selbst, die übrigen drei waren der politische Sphäre zuzurechnen. Hier identifizierte Al-Rawi zunächst die Intention von Jyllands-Posten als bewusste Provokation, die im dänische Umfeld als „Statement der Mehrheitsgesellschaft gegenüber der muslimischen Minderheit […] durchaus als rassistisch zu interpretieren ist“ (ebd.) und nannte als letzten Punkt das „[m]ieserable [!] Krisenmanagement“ (ebd.) des dänischen Ministerpräsidenten. Al-Rawi wies darauf hin, dass die (gewalttätigen) Reaktionen keineswegs nur „Islamisten“ oder „radikalen Fundamentalisten“ zugeschrieben werden könnten, sondern dass „hier auch nicht streng oder gar nicht religiöse Menschen mobilisierbar waren“ (ebd.), ohne allerdings auf den politischen Hintergrund einzugehen.

Völlig anders argumentierte drei Wochen später Ali Al-Zahid, ein im österreichischen Exil lebender Iraker und Initiator des Vereins Iraquna. Für Al-Zahid offenbarten die, erst durch die Reise der „Islamisten aus Dänemark“ ausgelösten, Reaktionen auf die Karikaturen in muslimischen Staaten und Gemeinden in Europa und das völlige Ausbleiben von internationalen Protesten angesichts der Zerstörung der schiitischen Askariya-Moschee im Irak durch einen Terror-Anschlag, die Unaufrichtigkeit der Auseinandersetzung. Es sei „absurd zu glauben, dass Protestierende in Damaskus oder Teheran ohne Zustimmung ihrer Diktatoren kurz mal ausländische Botschaften anzünden dürfen“ (zit. nach iraquna.at). Gleichzeitig beweise das Schweigen zum politisch/religiös motivierten Terror im Irak ein weiteres Mal, dass „die ‚arabische Sache‘ ein leerer Mythos, bar jeglicher humaner Werte“ sei (ebd.). Al-Zahid vertrat mit Bezug auf den „neuen Irak“ den Glauben an Demokratie und Menschenrechte, der „über alles andere“ zu stellen sei (ebd.).

Ein anderes Beispiel für eine kritische muslimische Stimme in den österreichischen Medien ist ein Interview mit dem ägyptischen Blogger Sandmonkey in Der Standard. Sandmonkey hatte in seinem Blog zum „Boykott des Boykotts dänischer Produkte“ aufgerufen (Der Standard, 08.02.2006; Sandmonkey’s Blog).

Aus der europäischen Debatte wurden in österreichischen Medien vor allem zwei zentrale Stellungnahmen rezipiert. Zunächst, Anfang März, der Aufruf „Gegen den neuen Totalitarismus“ (Manifest der 12), der unter anderem von Salman Rushdie, Ayaan Hirsi Ali, Talima Nasreen und Bernard-Henri Lévy unterzeichnet worden war (Die Welt, 02.03.2006). In diesem Manifest wurde der Islamismus als neue totalitäre Bedrohung nach der Überwindung des Nationalsozialismus und des Stalinismus beschrieben, der sich die Welt gegenübersehe. Es gehe nicht um einen Kampf der Kulturen, sondern um „einen weltweiten Kampf der Demokraten gegen die Theokraten“ (ebd.).

Sehr ähnlich äußerte sich die österreichische IG Autor*innen in einer mit „Mord als Ausdrucksmittel verletzter religiöser Gefühle?“ übertitelten Stellungnahme. Auch bei der IG Autor*innen lag der Fokus auf der politischen Dimension des Konflikts, wo ein Zusammenhang mit der weltpolitischen Situation um die Holocaust-Leugnung durch den iranischen Präsidenten und dem Konflikt um die atomare Bewaffnung des Iran hergestellt wurde. Neben der Solidarität mit den „Kolleginnen und Kollegen in islamischen Ländern, die wieder einmal unter größtem Risiko für die Meinungs- und Pressefreiheit eintreten“, lag das Hauptaugenmerk auf den möglichen Konsequenzen für die europäische Öffentlichkeit: „Gibt die Politik den Vorstellungen der Kritik an der Veröffentlichung dieser oder anderer islam-kritischer Veröffentlichungen nach, so würde das in der Konsequenz eine Pressefreiheit mit islamischem Zensurrecht bedeuten.“ (literaturhaus.at)

Zwei Wochen nach dem oben erwähnten Manifest der 12 erschien ein von fünf ehemaligen Staats- und Regierungschefs des Inter Action Council (IAC) unterzeichnetes „Gegenmanifest“, das an einen bereits 1997 verabschiedeten Vorschlag für eine Allgemeine Erklärung der menschlichen Verantwortlichkeit anschloss. Dieser Text richtete sich an die Medien, an religiöse Führer und Politiker*innen und identifizierte die Spannung zwischen Freiheit und Verantwortung als „Epizentrum des Karikaturenstreits“ (Der Standard, 15.03.2006). Im Unterschied zum Manifest der 12 versuchte das IAC keine Position in der Auseinandersetzung zu beziehen und ging nicht auf die ideologischen Hintergründe ein, sondern wollte Verhaltensregeln definieren, die ein friedliches Austragen derartiger Konflikte ermöglichen sollten.

Stellungnahmen von Journalist*innen

Angesichts der vielen im „Karikaturenstreit“ angesprochenen Ebenen der Auseinandersetzung kann es nicht verwundern, dass auch die Stellungnahmen von Journalist*innen zum Thema alles andere als einheitlich ausfielen. Das Spannungsfeld zwischen Pressefreiheit und redaktioneller Verantwortung spielt in den hier beispielhaft angeführten Kommentaren und Leitartikeln eine zentrale Rolle.

Einen, der europäischen Medienlandschaft gegenüber äußerst kritischen, Kommentar verfasste Georg Hoffmann-Ostenhof im Profil vom 6. Februar 2006. Hoffmann-Ostenhof argumentierte, dass – trotz der politischen Instrumentalisierung der Zeichnungen durch „Herrschaften in den nahöstlichen Staatskanzleien und Königshäusern“ – die Auseinandersetzung eben nicht mit dem „Fall Rushdie“ zu vergleichen sei (Profil 6, 06.02.2006, 98). Im Fall der Karikaturen liege tatsächlich eine Aggression gegen islamische Migrant*innen in Europa vor, die nicht zufällig in Dänemark ihren Ausgangspunkt genommen habe. Es sei „symptomatisch, dass an vorderster Front der jetzigen europäischen Freiheitsverteidiger konservative Zeitungen stehen“, die auch „wider einen Beitritt der Türkei zur EU und für die Rettung der europäischen Identität“ argumentierten (ebd.). In diesem Sinne sei „Abrüstung auf allen Seiten“ geboten (ebd.). Eine Woche später nahm Hoffmann-Ostenhof das Thema nochmals in einer Gegenüberstellung der europäischen und der US-amerikanischen Reaktionen im „Karikaturenstreit“ auf. Im Gegensatz zur Zurückhaltung von US-Medien und Politiker*innen sei in Europa „die Publikation der Mohammed-Cartoons zuallererst eine weitere Schlacht im Krieg gegen die politische Korrektheit. Die gilt es aber zu verteidigen.“ (Profil 7, 13.02.2006, 69).

Völlig anders argumentierte Hubert Patterer, der sich am 18. Februar 2006 in der Kleinen Zeitung der oben angesprochenen Rede von Bundespräsident Fischer in ausnehmend kritischer Weise näherte: „[A]ls Saldo blieb – wie in so vielen anderen verharmlosenden Stellungnahmen europäischer Politiker – der Tadel der ungezogenen Medien, der Appell zur Mäßigung und die schuldbewusste Selbstanklage des ach so unsensiblen Westens.“ (ots.at, 17.02.2006) Patterer hob besonders hervor, dass Fischer mit seiner Forderung nach Respekt für das islamische Darstellungsverbot einer „Unterwerfungspflicht über die Konfession hinaus“ das Wort rede (ebd.)

Ähnliche Befürchtungen lassen sich in einem bereits am 07. Februar 2006 in der Presse erschienen Leitartikel von Michael Prüller finden, der besonders die politische Instrumentalisierung der Proteste in der islamischen Welt betont. Prüller definiert den „Karikaturenstreit“ als „Kraftprobe, ob es gelingt, islamisches Recht – das Verbot, Gott und den Propheten abzubilden – de facto auch in Europa durchzusetzen“ (ots.at, 06.02.2006). Während Europa in der Sache „unmissverständlich bleiben“ müsse, sei es gleichzeitig notwendig „Zusammenarbeit mit den gemäßigten, weltoffenen Kräften der islamischen Welt“ zu pflegen (ebd.).

Auffällig ist, dass eine große Zahl von Debattenbeiträgern vom „Karikaturenstreit“ ausgehend die Fokussierung auf den Islam ablegte und sich dem breiteren Thema „Religion“ widmete (sh. u.a. Lingens in Profil 7/2006 und 8/2006, Michael Scharang in Die Presse 18.02.2006 und 04.03.06 sowie die Reaktionen von Norbert Leser 24.02.2006, Franz Küberl 25.02.2006, Otto M. Zykan 04.03.2006, Armin Thurnher 25.02.2006, Walter Wippersberg 18.03.2006).

Zusammenfassung

Schon an dieser kurzen Zusammenstellung zeigt sich, dass sich im „Karikaturenstreit“, je nachdem, in welchem Kontext er beschrieben wurde, völlig unterschiedliche Ebenen offenbarten. In der österreichischen Debatte lassen sich zumindest drei wesentliche – wenn auch oft miteinander verbundene – Diskussionslinien identifizieren:

  1. Der Streit als Auseinandersetzung zwischen verschiedenen Religionen. Obwohl auf politisch-institutioneller Ebene diese Linie stark behandelt wurde (z.B. Religionsgipfel), lässt sie sich als Konfliktlinie in der öffentlichen Debatte kaum wiederfinden. Viel eher scheint es, dass christliche und muslimische religiöse Vertreter*innen durchaus ähnliche Interessen in Bezug auf die Beschränkung der Medien im Hinblick auf die Religion verfolgten.
  2. Der Streit als Ausdruck des politischen Konflikts zwischen dem aufgeklärten „Westen“ und islamischen Regimen bzw. „Fundamentalisten“, die die Karikaturen für machtpolitische Ziele instrumentalisierten – eine Diskussionslinie, die sich vor allem in Kommentaren und Stellungnahmen zivilgesellschaftlicher Akteur*innen und Intellektueller sowie einiger Journalist*innen wiederfindet.  Für den „Westen“ legt diese Argumentationslinie die Verteidigung der Meinungs- und Pressefreiheit als eindeutige Priorität fest. Dabei sollte man sich auch vor Augen halten, dass diese Linie sich starken Vorurteilen bedient, welche aus dem europäisch konstruierten Bild des „Orientalismus“ stammen.
  3. Der Streit als Reaktion auf Rassismus gegenüber der muslimischen Minderheit in Europa und die Bewertung der Karikaturen als anti-islamisch/rassistisch. Auch in diesem Fall wird ein politischer Fokus auf die Auseinandersetzung gerichtet, allerdings mit völlig anderen Vorzeichen.