Wahlen

Demokratiereform

Überlegungen zu einer Reform der demokratischen Spielregeln, Prozesse und Strukturen sind Teil des demokratischen Systems. Sie sind etwas der Demokratie Immanentes. Die im Rahmen der Demokratieform-Debatten aufgeworfenen Änderungsvorschläge sind nicht selten ein Indikator für die Qualität eines politischen Systems.

Die erörterten Themen können sich auf eine Vielzahl von Fragestellungen grundsätzlicher, organisatorischer oder struktureller Hinsicht beziehen. „Dauerbrenner“ in der Debatte sind das Verhältnis von Bürger*in und Staat, jenes von Macht und Kontrolle, die politischen Parteien, die Funktionsweise von Nationalrat und Bundesrat uvm.

Stets von großer Bedeutung sind in der Debatte Vorschläge, die eine Änderung des geltenden Wahlrechts intendieren, denn sie berühren das „Herz“ des demokratischen Systems. Wahlen sind ein konstituierendes Merkmal einer demokratischen Ordnung und stellen ein zentrales Element des demokratischen Prozesses dar. Das Volk, der Souverän, entscheidet in modernen repräsentativen Demokratien über Parteien und Personen als Volksvertreter*innen.

Wahlrechtsreform 2007

Die Spielregeln für die Abhaltung von Wahlen, für die Teilnahme an diesen und somit für die individuellen Partizipationsmöglichkeiten und die Mandatsvergabe sind im Wahlrecht definiert. Nach der österreichischen Bundesverfassung haben die Wahlen zum österreichischen Nationalrat, zum Europäischen Parlament, zu den Landtagen und Gemeinden aufgrund eines gleichen, unmittelbaren, geheimen und persönlichen Verhältniswahlrechts zu erfolgen; die Wahl zum*zur österreichischen Bundespräsidenten*Bundespräsidentin erfolgt in Form einer Direktwahl. Die näheren Details über die Abhaltung von Nationalrats-, Landtags-, Gemeinde- oder Europawahlen sind in eigenen Wahlgesetzen oder Wahlordnungen bestimmt.

Anfang Juni 2007 wurde – entsprechend dem Regierungsprogramm der SPÖ-ÖVP-Koalition – eine Reform des geltenden Wahlrechts auf Bundesebene im Nationalrat beschlossen. Durch sie kommt es zu umfassenden Änderungen der Nationalrats-Wahlordnung 1992, des Bundespräsidentenwahlgesetzes 1971, der Europawahlordnung, des Volksabstimmungsgesetzes 1972, des Volksbefragungsgesetzes 1989, des Wählerevidenzgesetzes 1973 und des Europa-Wählerevidenzgesetzes; die Reform betrifft aber auch die österreichische Bundesverfassung.

Eckpfeiler der Wahlrechtsreform sind:

  • eine Senkung des aktiven Wahlalters von 18 auf 16 Jahre
  • eine Senkung des passiven Wahlalters von 19 auf 18 Jahre. Lediglich für die Kandidatur zum*zur Bundespräsidenten*Bundespräsidentin ist auch weiterhin die Erreichung des 35. Lebensjahres erforderlich.
  • die Einführung der Briefwahl im Inland
  • die Vereinfachung des Procedere der Briefwahl im Ausland
  • eine Verlängerung der Legislaturperiode des Nationalrats von vier auf fünf Jahre

Senkung des Wahlalters

Mit der Senkung des aktiven Wahlalters von 18 auf 16 Jahre, die v.a. auf einen Wunsch der SPÖ zurückgeht, wird Österreich zum „Europa-Pionier“. In anderen Ländern kann durchwegs erst ab 18 Jahren gewählt werden. Lediglich in Brasilien, Kuba und Nicaragua ist Wählen bereits ab 16 Jahren erlaubt, in Nordkorea und den Seychellen ist eine Stimmabgabe ab 17 Jahren möglich. (Süddeutsche Zeitung, 15.3.2007).

Aufgrund des „Homogenitätsprinzips“, das bundesweit einheitliche Regelungen garantieren soll, wurde das Wahlalter nach der Wahlrechtsreform 2007 auch auf Landes- und Gemeindeebene angepasst. Gemäß dem Homogenitätsprinzip dürfen Länder zwar selbständig über das Wahlrecht für Landtags- und Gemeinderatswahlen entscheiden, aber die „Bedingungen des aktiven und passiven Wahlrechts nicht enger ziehen als die Bundesverfassung für Wahlen zum Nationalrat“ (Kleine Zeitung, 2.5.2007).

Einführung der Briefwahl

Mit der Einführung der Briefwahl, die einer alten Forderung der ÖVP entspricht, wird das Wählen auch außerhalb der Wahlzelle möglich. Hierzu ist es erforderlich, beim Gemeindeamt eine Wahlkarte zu beantragen. Der ausgefüllte Stimmzettel und eine eidesstattliche Erklärung, wonach der amtliche Stimmzettel persönlich, unbeobachtet und unbeeinflusst ausgefüllt wurde, können dann per Post an die Wahlbehörde gesendet werden. Neben Österreich ist die Briefwahl derzeit auch in zwölf anderen europäischen Ländern, darunter Deutschland, der Schweiz, Schweden, Großbritannien und Spanien, möglich (Der Standard, 2.5.2007).

Personen, die die österreichische Staatsbürgerschaft besitzen, aber nicht im Gebiet der Republik Österreich wohnen, haben seit 1990 die Möglichkeit, mittels Wahlkarten an den Nationalratswahlen teilzunehmen.  Hier reicht eine eidesstattliche Erklärung als Bestätigung für die persönliche und freiwillige Stimmabgabe. Zudem können Auslandsösterreicher*innen ein 10-Jahres-Abonnement für Wahlkarten bestellen.

Verlängerung der Legislaturperiode auf fünf Jahre

Durch die Wahlrechtsreform wurde eine Verlängerung der Legislaturperiode von vier auf fünf Jahre vorgenommen. In der Europäischen Union ist eine fünfjährige Legislaturperiode selten, die Amtsperiode der Parlamente beträgt in 19 von 27 Mitgliedsländern vier Jahre. Innerhalb Österreichs besteht auf Landesebene – bis auf Oberösterreich, wo eine sechsjährige Amtsperiode gilt – bereits eine generelle Legislaturperiode von fünf Jahren. Auch die Gemeindeparlamente haben überwiegend fünfjährige Legislaturperioden, nur in Kärnten, Oberösterreich und Tirol findet die Gemeinderatswahl alle sechs Jahre statt. Der österreichische Bundespräsident wird ebenfalls alle sechs Jahre gewählt (Der Standard, 2.5.2007).

Keine Wahl ohne Staatsbürgerschaft

Unangetastet von der Reform blieb der Umstand, dass zur Teilnahme an Wahlen in Österreich grundsätzlich die österreichische Staatsbürgerschaft erforderlich ist. Personen, die diese nicht besitzen, sind in Österreich nicht nur von Nationalratswahlen, sondern auch von Landtagswahlen oder Bundespräsidentenwahlen ausgeschlossen. EU-Bürger*innen haben in Österreich das aktive und passive Wahlrecht auf kommunaler Ebene. Bürger*innen, die nicht aus EU-Staaten kommen, haben auch dieses nicht und sind somit von grundlegenden politischen Partizipationsmöglichkeiten ausgeschlossen.

Der Wiener Landtag hat im Dezember 2002 das kommunale Wahlrecht für Nicht-EU-Bürger*innen beschlossen, die von FPÖ und ÖVP gemeinsam eingebrachte Beschwerde wurde vom Verwaltungsgerichtshof jedoch anerkannt. In seinem Urteil vom 30. Juni 2004 hob der Verfassungsgerichtshof das „Ausländer*innenwahlrecht“ mit der Begründung auf, dass dieses gegen das „Homogenitätsprinzip“ verstoße, das ein einheitliches Wahlrecht fordere.

Reaktionen

Die auf die Wahlrechtsreform 2007 erfolgten Reaktion fielen – was ihre einzelnen unterschiedlichen Bestandteile betrifft – unterschiedlich aus:

Während alle Parteien, d.h. auch Grüne, BZÖ und FPÖ, eine Senkung des Wahlalters im Sinne eines Ausbaus der Teilhabechancen begrüßten, zog insbesondere die Verlängerung der Legislaturperiode und die Einführung der Briefwahl Kritik nach sich. So wurde festgehalten, dass die Verlängerung der Legislaturperiode eine Reduktion der Partizipationsmöglichkeiten und weniger Mitbestimmung für die Bürger*innen bedeute. Von Seiten der Regierung wurde jedoch damit argumentiert, dass sie hierdurch länger Zeit habe, um zu arbeiten, anstatt Wahlkämpfe auszufechten. Im Schnitt haben die österreichischen Regierungen jedoch nicht einmal die bisher möglichen vier Jahre gedauert.

Verfassungsrechtler*innen sehen demgegenüber v.a. die Einführung der Briefwahl skeptisch. Von ihrer Seite wird befürchtet, dass hierdurch die Stimmabgabe leichter manipulierbar wird und das Prinzip der „geheimen Wahl“ gefährdet ist.

Weitere Reformschritte

Als Folge der langwierigen Regierungsbildungen der letzten Jahre kann auch die immer wieder aufkeimende Diskussion über die Einführung des Mehrheitswahlrechts oder eines „minderheitenfreundlichen Mehrheitswahlrechts“ gesehen werden. Der wesentliche Unterschied zwischen Mehrheits- und Verhältniswahlrecht ist der, dass das Mehrheitswahlrecht klare parlamentarische Mehrheiten und damit eindeutig politisch verantwortliche Regierungen ermöglicht. Ziel des Verhältniswahlrechts ist es hingegen, eine möglichst breite Repräsentation der Bevölkerung im Parlament zu schaffen und kleinen Parteien ebenfalls die Möglichkeit der Mitsprache und Mitgestaltung zu eröffnen.

Besonders ausführlich wird in Österreich eine Art „minderheitenfreundliches Mehrheitswahlrecht“ diskutiert. Dieses Modell stammt vom Politikwissenschaftler Klaus Poier und wird besonders von der „Initiative Mehrheitswahlrecht und Demokratiereform“ gefordert und vertreten.

Last Update 04/2021

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