Bisher hatte es in Österreich keine Volksbefragung auf Bundesebene gegeben. Bei der für Jänner 2013 angesetzten Volksbefragung über die Zukunft der Wehrpflicht handelte es sich somit um eine Premiere. Einmalig ist zudem die Tatsache, dass die Bürger*innen nicht über eine mit „Ja oder Nein“ zu beantwortende Frage abstimmten, sondern sich zwischen zwei Modellen einer unentschlossenen Regierungskoalition entscheiden konnten.
Vorbereitungsphase: Der Weg zur Volksbefragung
Insbesondere seit Sommer 2012 hatte das Thema Volksbefragung große mediale Aufmerksamkeit erlangt. Ausschlaggebend dafür war vor allem die Verknüpfung des von der SPÖ gewünschten Plebiszits zur Wehrpflicht mit dem „Demokratiepaket“ zur Demokratiereform der ÖVP. Aufgegriffen wurde die Idee allerdings bereits im Jahr 2010. So schlug der Wiener Bürgermeister Michael Häupl (SPÖ) unmittelbar vor der Wiener Landtagswahl vor, die allgemeine Wehrpflicht abzuschaffen und stattdessen das Volk darüber entscheiden zu lassen (Kronen Zeitung, 5.10.2010). Damit hatte er einen Richtungswechsel innerhalb der SPÖ ausgelöst, die sich daraufhin von der allgemeinen Wehrpflicht abwendete und für ein Berufsheer aussprach. Das Thema Wehrpflicht wurde infolgedessen zu einem kontroversen Streitgegenstand zwischen den Regierungsparteien SPÖ und ÖVP. Aufgrund einer ausbleibenden Einigung forderte die SPÖ immer wieder eine Volksbefragung, die von der ÖVP zunächst abgelehnt wurde (Zur Chronologie der Debatte: Siehe Die Presse, 28.08.2012). Am 1. Juli 2012 titelte Die Presse: „Wehrpflicht: Tausche VP-Paket gegen SP-Paket“. Die Wehrpflicht-Volksbefragung wurde zu einem „Tauschobjekt“ innerhalb der Koalition instrumentalisiert: Wenn die SPÖ das „Demokratiepaket“ der ÖVP akzeptiere, würde die ÖVP im Gegenzug dem gewünschten Plebiszit zur Wehpflicht zustimmen, allerdings nur über den Weg eines verbindlichen Volksbegehrens, das die ÖVP insgesamt im Rahmen einer Demokratiereform fordert.
Ende August 2012 einigten sich SPÖ und ÖVP auf die Durchführung einer „verbindlichen Volksbefragung“. Das Ergebnis der Volksbefragung wäre rechtlich gesehen zwar nicht bindend, die Regierungsparteien haben aber im Vorfeld versichert, dass die Entscheidung der Bürger*innen politisch verbindlich ist und umgesetzt wird (Die Presse, 27.08.2012/ Der Standard, 23.10.2012). Die Volksbefragung über die Zukunft der Wehrplicht hat am 20. Jänner 2013 stattgefunden (parlament.gv.at). Fast 60% der Befragten sprachen sich für die Beibehaltung von Wehrpflicht und Zivildienst aus.
Debatte über die Wehrpflicht-Volksbefragung
Die Volksbefragung zur Wehrpflicht im Jänner 2013 stand seit Sommer 2012 regelmäßig auf der Tagesordnung im Parlament und wurde in der Öffentlichkeit diskutiert. Die öffentliche Diskussion lässt sich in zwei Ebenen unterteilen. Erstens wurde auf der Expert*innen-Ebene über die rechtliche Form der Volksbefragung, insbesondere seine Fragestellung, diskutiert. Zweitens wurde die Debatte über die Volksbefragung von einer Pro- und Contra-Debatte in den Medien über die beiden Modelle der Regierungsparteien begleitet, in der u.a. Politiker*innen, Offizier*innen und Expert*innen zu Wort kamen. In der so genannten Abstimmungsdebatte, die entscheidend für die Meinungsbildung der Bürger*innen ist, ließen sich diese zwei Ebenen schwer voneinander trennen. Von besonderem Interesse für das Thema direkte Demokratie ist hingegen die öffentliche Debatte über die Formulierung der Fragestellung, da diese Auskunft über die mit dem direktdemokratischen Instrument zusammenhängende Problematik gibt
Heikles Thema: Fragestellung zur Volksbefragung
Das Instrument der Volksbefragung wurde in den letzten Jahren immer wieder kritisiert – zum einem wegen der Formulierung der Fragestellung, zum anderen wegen des zur Abstimmung stehenden Sachgegenstandes.
Die Grazer Volksbefragung von 1997 über die Verlängerung einer Straßenbahnlinie wurde zum Beispiel wegen ihrer Fragestellung vom Verfassungsgerichtshof (VfGH) als gesetzeswidrig erachtet. So erklärte das VfGH, dass Fragestellungen „klar und eindeutig“ formuliert sein müssten, „damit Manipulationen hintangehalten und Missverständnisse so weit wie möglich ausgeschlossen werden können“ (RIS V103/99 – Rechtssatz VfGH). Rechtliche Bedenken äußerten Jurist*innen neben der letzten Wiener Volksbefragung im Jahr 2010 (Siehe: Wiener Volksbefragungen) auch bei der Kärntner Volksbefragung von 2011 zu zweisprachigen Ortstafeln. Die Bürger*innen sollten im Juni 2011 befragt werden, ob sie mit einem ausgehandelten Kompromiss zur Errichtung zweisprachiger Ortstafeln in Kärnten einverstanden sind. Es handelte sich bei dem Sachgegenstand allerdings um ein Minderheitenrecht zum Schutz der slowenischen Minderheit, das im österreichischen Staatsvertrag verankert war. Jurist*innen wie Karl Korinek kritisierten deshalb die fehlende Rechtsgrundlage dieser Volksbefragung. Während nämlich Volksbefragungen auf Bundesebene sich auf eine bundesweite Angelegenheit beziehen müssen, können Volksbefragungen auf Länderebene nur über Sachfragen aus dem Wirkungsbereich des Landes abgehalten werden. Zudem fehlte eine gesetzliche Grundlage für die vorgenommene „Briefumfrage“ (Die Presse, 08.05.2012).
Die Fragestellung zur Wehrpflicht-Volksbefragung
Die Fragestellung zur Volksbefragung über Wehrpflicht oder Berufsheer stand seit Anfang September 2012 fest. Erstmals gab es keine mit „Ja oder Nein“ zu beantwortende Frage, stattdessen wurden die jeweiligen Modelle von SPÖ und ÖVP zur Abstimmung gegenübergestellt.
In den anfänglichen Differenzen von SPÖ und ÖVP sich auf einen gemeinsamen Wortlaut zu einigen wird deutlich, dass die Formulierung der Fragestellung für eine Volksbefragung ein besonders heikles Thema darstellt. Durch die bewusste Auswahl oder Weglassen von Worten können Mehrheiten verändert werden. Bei der Frage, ob die Österreicher*innen ein System mit Wehrpflicht und Zivildienst und Katastrophenschutz bevorzugen – oder ein Berufsheer, überwogen laut Meinungsforschungsinstitut Ecoquest die Wehrpflicht-Befürworter*innen. Wäre allerdings über die Frage des Karmasin-Instituts abgestimmt worden – „Sind Sie für die Einführung eines Profiheers (Berufsheer) statt der Wehrpflicht“ – plädierte die Mehrheit der Bürger*innen für das Berufsheer (Die Presse, 02.09.2012). Die Wortwahl, insbesondere das Hinzufügen des Wortes „Zivildienst“ in die Fragestellung, konnte folglich die Entscheidung der Bürger*innen maßgeblich beeinflussen. Somit konnten die negativen Auswirkungen von fehlenden Zivildienern für den Sozialdienst als Argument der Berufsheer-Gegner*innen für die Beibehaltung der Wehrpflicht instrumentalisiert werden, insbesondere dann, wenn die vorgeschlagene SPÖ-Alternative für ein freiwilliges Sozialjahr in der Fragestellung gefehlt hätte.
Kritik
Die Volksbefragung zur Wehrpflicht und dessen Fragestellung wurde von mehreren Seiten kritisiert. So erhob auch der Soziologe und Studienautor (IFES/IVS Direkte Demokratie Österreich) Max Haller, der sich insgesamt für mehr direkte Demokratie ausspricht, Einwände gegen die Volksbefragung. Seine Kritik bezog sich einerseits auf die Fragestellung, in der die zwei Fragen nach Wehrpflicht und Zivildienst in eine gepackt wurden, andererseits darauf, dass die Volksbefragung als „Spielball der Parteipolitik“ benutzt wurde und die Bevölkerung nicht ausgewogen informiert worden wäre (Der Standard, 29.10.2012/ Der Kurier, 1.11.2012).
Ähnliche Kritik äußerte auch Hannes Androsch, Vorsitzender des Pro-Berufsheer-Komitees, Industrieller und Initiator des Bildungsvolksbegehrens des Jahres 2011. Er hielt die Volksbefragung über dieses Thema für „verfehlt“ und verurteilte insbesondere die „herausgegriffene, willkürliche Frage“ über eine derart komplexe Materie, die für Androsch Sache der Regierung sei und nur aufgrund deren fehlender Einigung an „Laien“ weitergeleitet wurde. Darüber hinaus missfiel Androsch, dass die Fragestellung keine Auskunft über Umsetzung und Zeitraum einer neuen Wehrpflichtreform gab. Androsch befürchtete deshalb, dass die Beteiligung an der Volksbefragung gering ausfallen würde (Der Standard, 08.11.2012).
Eine Umfrage des Meinungsforschungsinstitutes Imas im September bestätigte das „flaue Interesse“ an der Volksbefragung (Imas-Umfrage vom 13.09.-28.09.2012). So brachte nur knapp die Hälfte der Österreicher*innen der Volksbefragung prinzipielle Aufmerksamkeit entgegen, lediglich 20 Prozent der Bevölkerung waren stark daran interessiert. 45 Prozent der Befragten gaben jedoch an, „nicht besonders interessiert“ (25%) oder „gar nicht“ (20%) von dem Thema berührt zu sein. Lediglich jede*r Vierte war fest entschlossen im Jänner 2013 in die Wahllokale zur Abstimmung zu gehen. Der Anteil der Unentschiedenen zum Thema Wehrpflicht betrug mit 28 Prozent fast ein Drittel der Bevölkerung. Die Meinungsforscher*innen sahen die Meinungsumschwünge der Parteien sowie schlechte Information als Ursache für Desinteresse und Ratlosigkeit der Bürger*innen gegenüber der Volksbefragung. So wusste nur etwa die Hälfte über die genauen Positionen der Parteien und ihr Heeresmodell Bescheid (Wiener Zeitung, 16.11.2012).
Fazit und Ausgang der Volksbefragung
Die österreichischen Bürger*innen bekamen mit der Volksbefragung erstmalig bundesweit die Möglichkeit anstelle des Parlaments direkt über ein Sachthema, oder vielmehr über zwei unterschiedliche Modelle, abzustimmen.
Schlussendlich lag die Beteiligung an der Volksbefragung mit 48,99 % über den zuletzt geäußerten Erwartungen. 40,23 % (1.225.457 Stimmen) sprachen sich für die Einführung eines Berufsheeres und eines bezahlten freiwilligen Sozialjahres aus und 59,77 % (1.821.005 Stimmen) sprachen sich für die Beibehaltung der allgemeinen Wehrpflicht und des Zivildienstes aus. (orf.at, 21.1.2013/ Der Standard, 20.1.2013)