Einführung

Weltweit wird von direkter Demokratie gesprochen. Doch was ist direkte Demokratie überhaupt? Welche direktdemokratischen Verfahrenstypen gibt es im Allgemeinen? Und was versteht man unter einer Abstimmungsdebatte? Diese Fragen werden in dieser Einführung beantwortet.

Wenn von direkter Demokratie die Rede ist, wird häufig die attische Demokratie im alten Griechenland als historisches Vorbild für direkte Volksherrschaft herangezogen. So bestimmte in Athen ein eingeschränktes „Volk“ (stimmberechtigte Bürger) in der Volksversammlung direkt über alle politischen Entscheidungen. Die attische Demokratie hatte mit einer modernen Demokratie jedoch wenig zu tun: Hier entschied allein eine kleine homogene Elite („Vollbürger“) über den Großteil der Bevölkerung. Frauen, Metöken (Fremdarbeiter*innen) und Sklav*innen waren von der Politik ausgeschlossen. In den modernen Demokratien der Nationalstaaten, die in der Regel eine große heterogene Bevölkerung aufweisen, kann es aufgrund der Komplexität moderner Politik keine reine direkte Demokratie mehr geben. Eine direkte Mitwirkung der Bürger*innen in der rein repräsentativen Demokratie ist ursprünglich nicht vorgesehen. Im Repräsentativsystem sind nicht nur gesetzgebende und gesetzsprechende Gewalt getrennt, sondern politische Macht wird allein durch die von den Bürger*innen gewählten Repräsentant*innen ausgeübt.

Direkte Demokratie wird hingegen als Ergänzung, Korrektiv oder Kontrolle des repräsentativen Demokratiesystems verstanden (vgl. Pelinka 1994). So ermöglichen direktdemokratische Instrumente, die in der Verfassung verankert sind, Bürger*innen neben der Beteiligung an Wahlen auch bei konkreten Sachfragen direkten Einfluss auf die Politik zu nehmen. Direkte Demokratie stellt folglich keine Staatsform dar, sondern ein ergänzendes politisches Entscheidungsverfahren zur repräsentativen Demokratie.

Entstehung und Verbreitung direkter Demokratie weltweit

Die heutigen Formen der direkten Demokratie gehen vor allem auf die französischen Theoretiker der Revolutionszeit des 19. Jahrhunderts zurück (vgl. Bernauer u.a. 2009). Insbesondere Jean-Jacques Rousseaus normative Lehre der Volkssouveränität (1762), die besagt, dass alle Souveränität vom Volk ausgeht, hat die Grundgedanken direkter Volksherrschaft geprägt. Für Rousseau ist politische Herrschaft mit den Grundprinzipien Freiheit und Gleichheit nur vereinbar, wenn die Gesetzesunterworfenen mit den Gesetzesgeber*innen identisch sind, das heißt, dass jede*r am Verfassen der Gesetze mitwirken kann. Weitere bedeutende Ansätze zu direkter Demokratie stammen vom französischen Politiker und Mathematiker Marquis de Concorcet, der eine andauernde Beteiligung des Wähler*innenwillens forderte. Hierzu schlug er unter anderem eine „Volksjury“ als permanent begleitendes Organ der gesetzgebenden Versammlung sowie Referenden vor (vgl. Llanque 2008: 288).

Die Ideen zur direkten Demokratie verbreiteten sich in zwei großen Etappen (vgl. Bernauer u.a. 2009). Zwischen 1830 und 1939 fand eine weltweite Verbreitung und verfassungsrechtliche Verankerung von direktdemokratischen Volksrechten in den USA, Australien, Neuseeland, der Schweiz und nach dem Ersten Weltkrieg in Österreich, der Weimarer Republik und mehreren anderen europäischen Staaten statt. Einen zweiten Schub erfuhr die direkte Demokratie nach dem Ende der kommunistischen Herrschaft. So etablierten sich in praktisch allen neuen Verfassungen Mittel- und Osteuropas direktdemokratische Elemente. Auch wenn direkte Demokratie mittlerweile fast überall in Europa gesetzlich verankert ist, so sind die Unterschiede von Qualität und Form direktdemokratischer Instrumente immens (vgl. Gross/Kaufmann 2002).

Direktdemokratischen Verfahrenstypen

Nach Theo Schiller lässt sich direkte Demokratie in unterschiedliche Verfahrenstypen differenzieren. Sie unterscheiden sich danach, welche Personen oder Instanzen direkte Demokratie auslösen können (Auslösungskompetenz), in den Entscheidungsgegenständen und im Grad der Verbindlichkeit des Votums (Entscheidungsverbindlichkeit) (Schiller 2002: 13f.).

Auslösungskompetenz (Typen direkter Demokratie)

  1. Initiative: Initiativen sind Verfahren „von unten“, die von Bürger*innen, Interessenverbänden und Parteien ausgelöst werden. Im österreichischen Sprachgebrauch ist der Begriff „Volksbegehren“ üblich, in der Schweiz „Volksinitiative“.
  2. Fakultatives Referendum: in der Regel Instrument „von unten“, mit dem eine Gesetzesvorlage einer Volksabstimmung unterworfen werden kann. In Österreich versteht man hingegen unter einem fakultativen Referendum jede nicht obligatorische Volksabstimmung, die aber vom Parlament beschlossen (also initiiert) wird.
  3. Obligatorisches Referendum: wird nach festgelegten Normen obligatorisch ausgelöst, z.B. bei einer Gesamtveränderung der Verfassung.
  4. Konsultatives Referendum: unverbindliches Instrument zur Ermittlung des Meinungsbildes in der Bevölkerung. In deutschsprachigen Ländern auch unter Volksbefragung bekannt.
  5. Plebiszit: Sammelbezeichnung für alle direktdemokratischen Instrumente. Nach Theo Schiller wird der Begriff vor allem für Verfahren verwendet, deren Zugehörigkeit zur direkten Demokratie umstritten sind. Eine wie in Österreich durch ein Staatsorgan (Nationalrat) ausgelöste Volksabstimmung stellt nach Schiller kein Referendum, sondern ein Plebiszit dar (vgl. Schiller 2002: 14).

Entscheidungsgegenstände

  • Entscheidungsgegenstände können Verfassungen, Verfassungsartikel, Gesetze, Finanzthemen oder Staatsverträge darstellen.

Entscheidungsverbindlichkeit

  • Oft ist die Entscheidung einer Initiative oder eines Referendums verbindlich. Das konsultative Referendum bzw. die Volksbefragung haben jedoch keinen verbindlichen Charakter. Auch das österreichische Volksbegehren ist nicht rechtsbindend und nur eine „Anregung“, die zur Befassung des Parlaments mit einem Anliegen führt.

Es gibt somit unterschiedliche Verfahrenstypen direkter Demokratie mit teilweise divergierenden Begrifflichkeiten. Darüber hinaus bestehen zusätzlich verschiedene Detailordnungen, die sich z.B. in der freien oder begrenzten Themenwahl, der Antrags- und Zustimmungshürden unterscheiden (vgl. Schiller 2002: 16).

Öffentliche Abstimmungsdebatten

In der direkten Demokratie verlagert sich die Entscheidungsbefugnis des Parlaments in die „Stimmbürgerarena“ (Schiller 2002). Die „Stimmbürgerarena“ stellt einen zum Parlament modifizierten Handlungsraum dar, in dem die Entscheidungsverantwortung nicht bei den Abgeordneten liegt, sondern bei den mit wirklicher Entscheidungsmacht ausgestatteten „Stimmbürgern“ (Schiller 2002: 35).

Das direktdemokratische Entscheidungsverfahren gliedert sich in drei Hauptetappen: Die Vorbereitungsphase, die öffentliche Abstimmungsdebatte inkl. Abstimmung und die Umsetzungsphase (vgl. Schiller 2002: 145). Die öffentliche Abstimmungsdebatte ist von wesentlicher Bedeutung im direktdemokratischen Prozess, da sie die Meinungsfindung und Entscheidungsbildung der Bürger*innen im mehr oder weniger geringen Maße je nach Meinungstyp beeinflusst (vgl. Schiller 2002: 146f.). Ähnlich wie bei parlamentarischen Beschlüssen eine Entscheidungsphase mittels Beratungen und öffentlichen Debatten im Parlament vorausgeht, nimmt bei direktdemokratischen Entscheidungen diese Position die öffentliche Abstimmungsdebatte oder Abstimmungskampagne ein. Hierbei handelt es sich um eine in der Öffentlichkeit stattfindende, diskursive, meist kontroverse Debatte, die auf den Abstimmungsgegenstand ausgerichtet ist und sich an alle Stimmberechtigten wendet.

Die Abstimmungsdebatte findet auf drei Ebenen statt: Die interpersonale Kommunikation in Familien-, Freundes- und Bekanntenkreisen, die Ebene interaktiver Kommunikation (z.B. in Form von Veranstaltungen, Internetauftritten) und die Ebene der Massenkommunikation in Presse, Rundfunk, Fernsehen und Internet (vgl. Schiller 2002: 148). Den bedeutendsten Ort der Austragung der Abstimmungsdebatte stellen die Massenmedien dar, die Öffentlichkeit herstellen und somit maßgeblich zur Meinungsbildung in einer Demokratie beitragen (Siehe: Medien und Demokratie). Darüber hinaus hat das Internet zunehmend an Bedeutung gewonnen, da es neben seiner Funktion als Informationsquelle einen interaktiven Austausch auf allen Kommunikationsebenen fördert. Es ist nicht auszuschließen, dass Medien von politischen Parteien und Interessengruppen zu ihren eigenen Vorteilen instrumentalisiert werden, indem z.B. Werbekampagnen in den Medien erkauft werden. Um das breite Spektrum an Meinungen und Interessen in einer Demokratie zu garantieren, ist es deshalb unerlässlich, dass für direktdemokratische Verfahren ein Rahmen offener Wettbewerbsbedingungen existiert, der ein gewisses Maß an Objektivität und Transparenz ermöglicht (vgl. Schiller 2002: 151). Eine ausgewogene öffentliche Debatte, die Vor- und Nachteile abwägt und einen gemeinsamen Austausch von Argumenten und Meinungen fördert, ist dabei entscheidend für die Qualität direkter Demokratie.