Die Europäische Nachbarschaftspolitik (ENP)
Die außenpolitischen Beziehungen zu den angrenzenden Staaten betreibt die Europäische Union seit dem Jahr 2004 im Rahmen der Europäischen Nachbarschaftspolitik (ENP). Das Konzept wurde im Zusammenhang mit der großen EU-Erweiterung, die im selben Jahr vollzogen wurde, entwickelt. Die ENP umfasst die Staaten Algerien, Armenien, Aserbaidschan, Belarus, Ägypten, Georgien, Israel, Jordanien, Libanon, Libyen, Moldau, Marokko, die Palästinensergebiete, Syrien (aufgrund des Bürgerkriegs ausgesetzt), Tunesien und die Ukraine. Die Europäische Nachbarschaftspolitik ist vom Erweiterungsprozess getrennt.
Russland nimmt in der Nachbarschaftspolitik der Europäischen Union eine Sonderrolle ein: Die Beziehungen zu dem Land wurden in Form einer strategischen Partnerschaft gepflegt. Diese wurde allerdings nach der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim 2014, vorsätzlichen Verstößen gegen demokratische Grundsätze und besonders nach Beginn des Krieges gegen die Ukraine im Februar 2022 von der Europäischen Union in Frage gestellt. Die EU verfolgt derzeit gegenüber Russland „einen zweigleisigen Ansatz, bei dem eine Politik von schrittweise verhängten Sanktionen mit Bemühungen verknüpft wird, eine diplomatische Lösung für den Konflikt in der Ostukraine zu finden“ (Europäisches Parlament).
Die Europäische Nachbarschaftspolitik unterscheidet sich von Land zu Land. Aufgrund der unterschiedlichen politischen und wirtschaftlichen Situationen in den einzelnen Ländern pflegt die EU im Rahmen der ENP vor allem bilaterale Beziehungen. Dabei bietet die Europäische Union ihren Nachbarn eine privilegierte Partnerschaft auf Grundlage gemeinsamer Werte wie Demokratie, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit sowie geteilter marktwirtschaftlicher Grundsätze an. Eine solche Partnerschaft besteht etwa mit der Ukraine in Form des seit 2017 wirksamen politischen und wirtschaftlichen Assoziierungsabkommens.
Erweiterung und/oder Vertiefung?
An offiziellen Gedenk- und Jubiläumstagen – wie etwa dem Europatag am 9. Mai – werden die zurückliegenden EU-Erweiterungen als Erfolg gefeiert: Immer enger ist Europa in den letzten Jahren zusammengewachsen, immer mehr Grenzen sind gefallen. Besonders wirtschaftliche sowie außen- und sicherheitspolitische Motive werden als Gründe dafür angeführt, die EU-Erweiterung fortzusetzen.
Doch es gibt europaweit auch eine starke Opposition gegen die Aufnahme weiterer Staaten, sowohl auf politischer Ebene als auch im öffentlichen Diskurs. Dabei wird vor allem diskutiert, ob die Politik der Erweiterung fortgesetzt oder stattdessen eine Vertiefung angestrebt werden solle. Gegner und Gegnerinnen der Erweiterung befürchten, dass die Aufnahme weiterer Staaten die Europäische Union überfordern könne. Das gelte in besonderem Maße für die wenig gefestigten Demokratien am Rande Europas. Bei den ehemaligen sowjetischen Satellitenstaaten lässt sich beobachten, dass sie besonders stark an ihren nationalen Interessen festhalten. Dies kann möglicherweise damit erklärt werden, dass sie die erst junge nationale Souveränität nicht schnell wieder aufgeben möchten.
Last update: 10/2022