In Österreich hat jede fünfte Frau (20 Prozent) körperliche und/oder sexuelle Gewalt erlebt – europaweit sogar jede Dritte (33 Prozent) (vgl. European Union Agency for Fundamental Rights 2014). Die Täter sind fast immer Männer und meist aus dem nahen sozialen Umfeld – Partner, Ehemänner, Väter, Brüder. Das ist mit ein Grund, dass es in diesem Bereich einen eklatanten Mangel an verlässlichen Zahlen und eine hohe Dunkelziffer gibt – oft schweigen Frauen und Mädchen aus Scham und Schuldgefühlen, um die Täter, ihre Kinder und sich selbst zu schützen. Zahlen aus 2014 zeigen, dass europaweit nur 14 Prozent ihre schlimmste Gewalterfahrung gemeldet haben (vgl. European Union Agency for Fundamental Rights 2014). Ein zentrales Thema der zweiten Frauenbewegung war die Forderung der Selbstbestimmung von Frauen über ihren Körper und ihre Sexualität. Dabei wurde auch aufgedeckt, dass Gewalt gegen Frauen ein gesellschaftliches Problem darstellt, das in hohem Ausmaß stattfindet und dem Recht auf Leben in Freiheit, Würde, Sicherheit und Unversehrtheit widerspricht. Da die Problematik nicht mehr ignoriert werden konnte, wurde Gewalt gegen Frauen 1993 bei der zweiten UN Menschenrechtskonvention in Wien als Menschenrechtsverletzung anerkannt. Damit wurde der Schutz vor Gewalt auch im Privaten als Aufgabe des Staates rechtlich verankert. Gewalt gegen Frauen wurde dabei definiert als
„jede gegen eine Frau auf Grund ihrer Geschlechtszugehörigkeit gerichtete Gewalthandlung, durch die Frauen körperlicher, sexueller oder psychologischer Schaden oder Leid zugefügt wird oder zugefügt werden kann, einschließlich der Androhung derartiger Handlungen, der Nötigung und der willkürlichen Freiheitsberaubung, gleichviel ob im öffentlichen oder im privaten Bereich“ (UN 1993).
Staaten sind damit aufgefordert, dieses Phänomen ernst zu nehmen, zu erfassen und zu bekämpfen, wodurch es seit den 1990er Jahren zu einer Zunahme an nationalen und internationalen Maßnahmen und Vereinbarungen gekommen ist. Ein Meilenstein auf diesem Weg war auch das Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt, das 2011 in Istanbul unterzeichnet wurde und deswegen auch als Istanbul-Konvention bezeichnet wird.
Steigende Zahlen bei Frauenmorden über mehrere Jahre und eine Serie an Femiziden (Tötungen weiblicher Personen aufgrund ihres Geschlechts) in Österreich im Jahr 2021 führte zu einer verstärkten medialen Aufmerksamkeit für das Thema und zu einer gesellschaftlichen Debatte über mangelnde Präventionsmaßnahmen von staatlicher Seite, fehlende umfassende Risikoprognosen potentieller Täter und zu geringe finanzielle Mittel für Opferschutzorganisationen.
Gewalt gegen Frauen kann auf körperlicher, sexueller, psychischer, ökonomischer oder sozialer Ebene stattfinden und kommt in allen Schichten und Gesellschaftsgruppen, unabhängig von Bildung, Einkommen und Herkunft vor. Man kann zwischen personaler Gewalt, die direkt durch einen Täter ausgeübt wird, und struktureller Gewalt, die sich in ungleichen Handlungs- und Entscheidungsmöglichkeiten äußert, unterscheiden. Personale Gewalt gegen Frauen findet dabei immer im Rahmen struktureller Ungleichheit statt – Frauen sind durch gesellschaftliche Strukturen tendenziell verletzungsgefährdeter (vgl. Sauer in Ludwig/Sauer/Wöhl 2009: 63). „Dimensionen solcher geschlechtsspezifischer Verletzungsverhältnisse sind ökonomische Unsicherheit (…), soziale Unsicherheit und Diskriminierung (…), reproduktive Unsicherheit (…) sowie politische Unsicherheit durch Ausschluss und Marginalisierung (…)“ (ebd.).
Prinzipiell findet Gewalt nicht nur gegen Frauen statt, jedoch wurde diese als besonderes gesellschaftliches Problem erkannt, das spezieller Schutz- und Gegenmaßnahmen bedarf. Opferschutzmaßnahmen stehen zumeist allen Betroffenen unabhängig von Geschlecht, Herkunft oder Alter zur Verfügung. Um jedoch nicht zu verschleiern, dass nach wie vor in den allermeisten Fällen die Täter Männer und die Opfer Frauen und Mädchen sind, wurde auch in der Istanbul-Konvention mehrheitlich kein geschlechtsneutraler Begriff verwendet, sondern von Frauen gesprochen (vgl. Council of Europe (COE) 2011). Besonders schutzbedürftig und gefährdet sind prinzipiell alle Menschen, die besonders häufig betroffen und/oder deren Fähigkeit, sich zu wehren beeinträchtigt sind – etwa in Abhängigkeitsverhältnissen oder bei körperlichen und/oder geistigen Behinderungen. Darunter fallen z.B. Kinder, alte Menschen, Menschen mit Behinderungen, Migrant*innen und Flüchtlinge, Drogenabhängige und Prostituierte (vgl. COE 2011). Diese Gruppen gilt es besonders zu schützen; Menschen, die mehreren dieser sozialen Kategorien angehören sind dabei noch stärker zu beachten (etwa Migrantinnen oder Frauen mit Behinderung).
Gewalt gegen Frauen findet zumeist im sozialen Nahraum, in Familien und (Ex-)Partnerschaften statt, womit besondere Vertrauensbrüche und Abhängigkeiten einhergehen. Gewalt äußert sich dabei nicht nur körperlich, sondern findet auch in Form von Drohungen, Beschimpfungen, Einsperren, dem Missbrauch ökonomischer Abhängigkeit, der Verweigerung von Unterhaltszahlungen und ähnlichem statt. Gerade häusliche Gewalt geht oft mit psychischem Terror über längere Zeit einher – wenn Kinder involviert sind, schafft die Notwendigkeit, diese zu schützen oft zusätzlichen Druck. Lange Zeit waren Betroffene nicht einmal bei Behörden, Vertrauten und sozialen Einrichtungen vor Schikanen sicher, und viele Vorurteile herrschen bis heute vor. Dabei kann es etwa zur Täter-Opfer-Umkehr kommen, beispielsweise indem Frauen, die Opfer einer Gewaltanwendung wurden, die Schuld an dem Erlebten gegeben wird, was gerade bei Traumatisierungen schwerwiegende Folgen haben kann. Auch die sogenannte doppelte Viktimisierung findet immer wieder statt, indem Betroffene erneut zu Opfern gemacht werden, wenn ihnen etwa Handlungs- oder Entscheidungsfähigkeit abgesprochen wird. Dies passiert, wenn etwa Polizist*innen, Ärzt*innen oder Richter*innen nicht für traumatisierende Erfahrungen und speziell für Erlebnisse häuslicher Gewalt sensibilisiert sind und bei Befragungen retraumatisierende Äußerungen machen, das Erlebte bezweifeln oder als lächerlich abwerten. Daher enthalten Maßnahmen gegen Gewalt an Frauen und gegen häusliche Gewalt zumeist auch Sensibilisierungsmaßnahmen und Bewusstseinsarbeit; in Österreich gibt es etwa Schulungen für bestimmte Berufsgruppen.
Gewalt im Netz
Als wesentlicher Bestandteil des Alltags ist auch das Internet kein gewaltfreier Ort. Gewalt im Netz findet beispielsweise in Form von Beleidigungen, Drohungen oder Falschinformationen statt. Vor allem die Öffentlichkeit und Sichtbarkeit dieser Gewaltform stellt für Betroffene eine besondere Belastung dar. Das Netz kann hierbei nicht als isolierter Raum betrachtet werden, das erkennt man auch daran, dass Online-Gewalt häufig in Kombination mit Offline-Gewalt auftritt und dass sich die Strukturen und Machtverhältnisse ähneln (vgl. BMDW 2018: 5).
Frauen und Mädchen sind auch im Internet unverhältnismäßig oft von Gewalt betroffen. Bei einer Erhebung in Österreich 2018 gab jede dritte Befragte an, im letzten Jahr mindestens eine Erfahrung mit Online-Gewalt gemacht zu haben (vgl. ebd.: 6). Die Täter*innen sind zum Großteil männlich (vgl. ebd.: 13). Um die Handlungsmöglichkeiten betroffener Personen zu vergrößern und ihnen rascher zu ihrem Recht zu verhelfen wurde 2020 ein Gesetzespaket gegen „Hass im Netz“ beschlossen. Durch diesen verbesserten Opferschutz soll der Gewalt insbesondere in Sozialen Netzwerken Einhalt geboten werden (vgl. BGBl. I Nr. 148/2020).
Der Hashtag MeToo wird seit 2017 in sozialen Netzwerken vermehrt verwendet, um Aufmerksamkeit für das Ausmaß sexueller Belästigung zu generieren. Ursprünglich wurde die Phrase bereits 2006 von der Aktivistin Tarana Burke etabliert, um damit Solidarisierung zwischen afroamerikanischen Frauen, die Erfahrungen mit sexuellem Missbrauch gemacht haben, zu fördern. Im Jahr 2017 erhielt der Hashtag große Aufmerksamkeit durch einen Aufruf der Schauspielerin Alyssa Milano auf Twitter mittels #MeToo auf persönliche Erfahrungen mit sexueller Belästigung und sexueller Gewalt zu verweisen. Auslöser für Milanos Tweet war der Skandal um den Filmproduzenten Harvey Weinstein, der über Jahrzehnte mehrere Frauen sexuell genötigt und vergewaltigt haben soll. Innerhalb weniger Tage nutzten Millionen Frauen den Hashtag, um auf ihre eigenen Erfahrungen aufmerksam zu machen.
Durch die Kampagne kam es in weiten Teilen der Welt zu einer breiten öffentlichen Debatte über sexualisierte Gewalt auch abseits der sozialen Netzwerke. #MeToo ermöglichte vielen Frauen das erste Mal über erlebte sexuelle Übergriffe zu sprechen und brachte damit auch eine Vielzahl an beruflichen und strafrechtlichen Konsequenzen für Beschuldigte mit sich. Die Kampagne hat die Wahrnehmung sexueller Belästigung durch die Öffentlichkeit grundlegend verändert und beeinflusst auch Jahre später den Diskurs über sexualisierte Gewalt.
In den letzten 15 Jahren wurde vermehrt erkannt, dass Frauen und Mädchen aus migrantischen und minorisierten Gruppen von speziellen Gewaltformen betroffen sein können und dabei unterschiedlichen Barrieren gegenüber stehen, wenn sie Hilfe suchen. Es handelt sich dabei um geschlechtsspezifische Gewalt, auf Grund von bestimmten Moral- und Wertvorstellungen (BMBWF 2021: 13), wie etwa Genitalverstümmelung, Zwangsheirat und Verbrechen im Namen der Ehre, wie fallweise auch Ehrenmorde. Ehre, so Nina Scholz, ist in traditionell-konservativen Migrant*innen-Milieus „ein kollektiver, aber stets gefährdeter ‚Besitz‘ der Familie, der durch ‚unehrenhaftes‘ Verhalten jederzeit verloren gehen kann. Im Kern geht es dabei stets um die Sexualität der Frau. Als unehrenhaft gilt jedes selbstbestimmte, nicht durch die Gemeinschaft abgesegnete sexuelle Verhalten. Ein Ehrverlust trifft die gesamte Familie in Form von Ächtung durch die Community. Die Angst vor dieser Schmach führt zu entsprechenden Kontroll- und Unterdrückungsmechanismen, rechtfertigt einen autoritären antiemanzipatorischen Erziehungsstil und die Benachteiligung von Mädchen und Frauen“ (Scholz 2014: 13f). Nicht unbedingt Religion, sondern archaische Traditionen sind demnach zumeist die Hintergründe derartiger Gewaltpraxen (vgl. BMBF 2014a: 7). Gemeinsam ist ihnen, dass sie „in der Familie oder Gemeinschaft praktiziert werden, weitgehend sozial legitimiert sind, sowie auf patriarchalischen Normen und Werten aufbauen“ (ebd.: 8). Den betroffenen Frauen, die meist in diesen patriarchalen Systemen gefangen sind, wird ein selbstbestimmtes Leben weitgehend abgesprochen.
Es ist wichtig, einerseits geeignete Schutz- und Unterstützungsmaßnahmen anzubieten und durch öffentliche Kampagnen zu informieren und zu sensibilisieren. Jedoch sind innerhalb des familiären Bereichs Maßnahmen zum Schutz der Frauen oftmals schwer zu gewährleisten, weshalb der Ort der Schule eine wesentliche Rolle spielt (vgl. Heinisch/Scholz 2012: 192). Andererseits ist aber darauf zu achten, nicht in die Falle einer rassistischen und/oder paternalistischen „Kulturalisierung von Gewalt“ (vgl. Sauer 2011: 48ff) zu tappen, indem Gewalt gegen Frauen nur als ein Problem der Anderen (anderer Kulturen etwa) konstruiert wird. Gewalt gegen Frauen und Mädchen findet unabhängig von sozialen Schichten und Kulturen, allerdings in unterschiedlicher Ausprägung, statt. Bestimmte Gruppen von Migrantinnen stehen oft erschwerten Bedingungen gegenüber: sprachliche und kulturelle Barrieren, erhöhte ökonomische und aufenthaltsrechtliche Abhängigkeit von Ehemännern und Arbeitgeber*innen, negative Assoziationen mit staatlicher Gewalt (Polizei) und eingeschränkter Zugang zu Informationen können schwer überwindbare Hürden darstellen (vgl. BMBF 2014a: 7f). Vorurteile und vereinfachende Gleichsetzungen (z.B. Kopftuch tragen = Unterdrückung) werden jedoch weder der Komplexität sozialer Realitäten gerecht, noch tragen sie zu einer Unterstützung betroffener Frauen und Mädchen bei – im Gegenteil wird migrantischen Frauen in dieser Debatte oft die Fähigkeit für sich selbst zu sprechen und zur Selbstbestimmung abgesprochen.
Es gibt in Österreich spezialisierte Hilfseinrichtungen und eine opferorientierte Gesetzgebung, um von diesen Gewaltformen betroffene Frauen dabei zu unterstützen, Hilfe zu suchen. Ein paar Beispiele:
Frauenhandel/Zwangsprostitution
Eine besonders gravierende Form der Menschenrechtsverletzung von internationalem Ausmaß sind Menschenhandel und Zwangsprostitution, wovon vorwiegend Frauen und Mädchen betroffen sind. Die Opfer kommen zumeist aus verarmten Verhältnissen, haben oft keinen legalen Aufenthalt und werden in totale Abhängigkeitsverhältnisse gebracht. Um hier Maßnahmen zu treffen, sind internationale Zusammenarbeit und besondere Unterstützungsmaßnahmen auf nationaler Ebene erforderlich, damit Betroffenen die Flucht bzw. der Ausstieg ermöglicht werden kann. Österreich ist sowohl Transit- als auch Zielland von Menschenhandel; sexuelle Ausbeutung ist hierbei die am häufigsten stattfindende Form. Die Dunkelziffer ist in diesem Bereich besonders hoch, und während davon ausgegangen wird, dass hier hohe Profite gemacht werden, kommt es nur selten zu Verurteilungen (vgl. Taskforce Menschenhandel 2015–2017: 2). Dennoch wurden, um dem Menschenhandel entgegenzuwirken, auf EU- und internationaler Ebene rechtliche Regelungen zur Bekämpfung des Menschenhandels erarbeitet – so beispielsweise die EU-Richtlinie zur Verhütung und Bekämpfung des Menschenhandels und zum Schutz seiner Opfer vom April 2011 und die EU Strategie zur Bekämpfung des Menschenhandels 2021-2025 (vgl. EU-Kommission 2021). Im Zuge der COVID-19 Pandemie haben sich die Herausforderungen bei der Bekämpfung verstärkt, nicht zuletzt auch durch die vermehrte Anwerbung von Opfern über das Internet (vgl. EU-Kommission 2020). Österreich ist sowohl auf internationaler als auch auf nationaler Ebene aktiv. 2004 wurde eine eigene Task Force Menschenhandel unter Leitung des Außenministeriums eingerichtet, um möglichst koordiniert und nachhaltig an der Bekämpfung dieser Verbrechen und der Hilfe für Opfer zu arbeiten – unter anderem ist die Task Force für die Erarbeitung Nationaler Aktionspläne zur Bekämpfung des Menschenhandels verantwortlich (vgl. BMEIA 2018). LEFÖ ist eine zentrale NGO in diesem Bereich – bereits seit 1985 setzt sie sich mit dem Thema Frauen*migration, Frauen*handel und Sexarbeit auseinander.
Gewalt in Kriegen und Konflikten
Ein eigenes Thema, das auf globaler Ebene eine große Rolle spielt, ist das Phänomen gesteigerter, teilweise systematischer Gewalt gegen Frauen in Konflikten und Kriegen. Sowohl während Kriegshandlungen als auch in Postkonfliktsituationen und etwa in Flüchtlingslagern gehört (sexuelle) Gewalt gegen Frauen zur Alltagsrealität. Sie findet sowohl als Strategie im Kampf, als auch im Rahmen verwahrloster sozialer Strukturen und – besonders erschütternd – auch durch Soldaten der UN und anderer zum Schutz eingesetzter Truppen statt. Ein weiteres Phänomen in diesem Kontext ist die Entstehung oder Steigerung von Prostitution in Gebieten, in denen Soldaten im Zuge internationaler Operationen stationiert werden (vgl. UN Security Council 2014). Mittels internationaler Abkommen und Sensibilisierungsmaßnahmen im Bereich Friedensförderung wird versucht, gegenzusteuern.
Auch die COVID-19 Pandemie führte zu einem erneuten weltweiten Anstieg der Gewalt gegen Frauen. Die Gründe dafür sind vielfältig. Bewegungsbeschränkungen machten es Opfern schwer, Übergriffe zu melden und zunehmende Armut und wirtschaftlicher Zwang erhöhen das Risiko für geschlechtsspezifische Gewalt. Insbesondere marginalisierte Gruppen, wie beispielsweise geflüchtete oder von Armut betroffene Frauen, sind von diesem erhöhten Risiko betroffen (vgl. Büro für Frauengesundheit und Gesundheitsziele/Wiener Programm für Frauengesundheit 2020).
Gewalt gegen Frauen ist ein gesellschaftliches Problem, sie dient der Ausübung von Macht und Kontrolle und hängt eng mit traditionellen Vorstellungen männlicher Vorherrschaft zusammen. Diese Erkenntnis ist eine wichtige Grundlage für Gegenmaßnahmen. Konsequenterweise wird in der Istanbul-Konvention von den unterzeichnenden Staaten anerkannt (vgl. COE 2011),
„dass Gewalt gegen Frauen der Ausdruck historisch gewachsener ungleicher Machtverhältnisse zwischen Frauen und Männern ist, die zur Beherrschung und Diskriminierung der Frau durch den Mann und zur Verhinderung der vollständigen Gleichstellung der Frau geführt haben“.
und „dass Gewalt gegen Frauen als geschlechtsspezifische Gewalt strukturellen Charakter hat (…)“und „einer der der entscheidenden sozialen Mechanismen ist, durch den Frauen in eine untergeordnete Position gegenüber Männern gezwungen werden“.
Geschlechtsspezifische Gewalt ist dabei definiert als „Gewalt, die gegen eine Frau gerichtet ist, weil sie eine Frau ist, oder die Frauen unverhältnismäßig stark trifft“.
Um diese gesellschaftlich tief verwurzelten Ursachen von Gewalt gegen Frauen zu überwinden, müssen Prävention und Bekämpfung auch am Bewusstsein der Bürger*innen ansetzen. Durch öffentliche Kampagnen, geschlechtersensible Buben- und Mädchenarbeit in Schulen, Anti-Gewalttrainings für Täter und Sensibilisierungsmaßnahmen für bestimmte Berufsgruppen werden langfristige und nachhaltige Veränderungen angestrebt. In Österreich besteht in Bezug auf Gewaltprävention und traditionelle Rollenbilder deutlicher Handlungsbedarf, um Gleichberechtigung hinsichtlich Sicherheit und Selbstbestimmung zu erreichen.
Gewaltbekämpfung: Früher Privatsache …
Gewaltsame Handlungen gegen Frauen (und Kinder) wurden lange Zeit als private Angelegenheiten betrachtet, in welche sich der Staat nicht einzumischen habe. Es fehlte sowohl das Problembewusstsein als auch der rechtliche Rahmen, um Frauen vor Gewalthandlungen zu schützen, ihnen Hilfe zu bieten und Täter zu bestrafen. Bei dem Kampfruf der zweiten Frauenbewegung „Das Private ist Politisch“ ging es genau darum, die strukturellen Ursachen und Machtverhältnisse, die hinter individuellen, privaten Erlebnissen stecken, aufzudecken. Wenn quer durch die Gesellschaft Frauen Gewalt erfahren und aus Schuld oder Scham schweigen, dann ist das kein individuelles, sondern ein gesellschaftliches Problem.
… nun öffentliche Aufgabe
Da geschlechtsspezifische Ungleichheiten in vielfältiger Weise tief in den gesellschaftlichen Strukturen, im politischen System, im Rechtssystem und im Bewusstsein und Verhalten der Bürger*innen verankert sind, müssen Gegenmaßnahmen politisch gesteuert werden. Dem Staat kommt eine zentrale Rolle in Sachen Gewaltbekämpfung zu, da er die gesellschaftlichen Ungleichheiten und damit ebenso den Kreislauf zwischen struktureller und personaler Gewalt gegen Frauen auszugleichen vermag. Durch die Unterbindung gewaltsamer Handlungen gegenüber Frauen mittels Gesetzen wird die Gewalt gegen Frauen aus der Nische der Privatheit in das Licht der Öffentlichkeit gerückt. Dies lässt sich anhand der Gesetzgebung in Österreich beobachten: Die Initialzündung war die Familienrechtsreform 1975, welche durch die rechtliche Gleichstellung der Eheleute die Egalisierung der Geschlechterverhältnisse in der Ehe festsetzte. Diese Modifizierung des Rechtsverständnisses steht ganz im Sinne der gesellschaftlichen Aufbruchsstimmung der 1970er Jahre: Nicht zuletzt die Frauenbewegung erzeugte den öffentlichen Druck, gleiche Chancen, Gleichberechtigung und Demokratisierung auf allen Ebenen herbeizuführen. Zum Schutz bedrohter Frauen eröffnete 1972 die Frauenhausbewegung das erste Frauenhaus in London. Damit wurde die Problematik im öffentlichen Raum sichtbar. Heute gibt es weltweit Frauenhäuser.
Bis zum heutigen Zeitpunkt werden in Österreich Gesetze und Maßnahmen zum Schutz der Frauen weiter ausgebaut und Formen der Gewalt gegen Frauen sukzessive unter Strafe gestellt. Als bahnbrechend gilt in diesem Zusammenhang das 1997 in Kraft getretene Bundesgesetz zum Schutz vor Gewalt in der Familie („Gewaltschutzgesetz“): Dieses Gesetz beinhaltet das so genannte Wegweiserecht, das die Polizei ermächtigt, (potentielle) Gewalttäter aus der Wohnung wegzuweisen und mit einem Betretungsverbot zu belegen. Bei einer anhaltenden Bedrohung durch den Aggressor kann diesem per einstweiliger Verfügung für maximal drei Monate verboten werden, sich der gemeinsamen Wohnung zu nähern. Die einstweilige Verfügung ist auch zentraler Bestandteil des 2006 in Kraft getretenen Anti-Stalking-Gesetzes, das erstmals psychische Gewalt mit einer Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr belegt und einer ungewollten Kontaktaufnahme entgegenwirkt. Abgesehen von der rechtlichen Ebene äußert sich das politische Bemühen in der öffentlichen Förderung von Einrichtungen wie dem Frauennotruf, den autonomen Frauenhäusern bzw. bewusstseinsbildenden Maßnahmen in Schulen und in der Öffentlichkeit. 2018 unterschrieben knapp 500.000 Menschen das Frauenvolksbegehren 2.0, das die soziale und ökonomische Gleichstellung der Geschlechter durch verfassungsgesetzliche Regelungen forderte.
Die Istanbul-Konvention ist ein wichtiger Eckpfeiler einer Entwicklung, deren Ziel es ist, Frauen ein gleichberechtigtes Maß an Sicherheit, Unversehrtheit und Würde zu gewähren und damit geschlechtsspezifische Ungleichheiten nachhaltig und langfristig zu bekämpfen. Ein dabei von den Mitgliedstaaten geforderter Mechanismus ist die Erstellung von Nationalen Aktionsplänen, durch die Planung, Koordination und Evaluation von Maßnahmen systematisiert werden sollen. In Österreich wurde 2013 eine interministerielle Arbeitsgruppe eingerichtet, die im August 2014 – zeitgleich mit dem Inkrafttreten der Konvention – den bisher letzten Nationalen Aktionsplan zum Schutz von Frauen vor Gewalt 2014-2016 vorgelegt hat (siehe BMBF 2014b). Klaren Handlungsbedarf gibt es in Österreich insbesondere in Bezug auf die hartnäckig vorherrschenden traditionellen Geschlechterstereotype und -rollen, den Zugang zu Beratungseinrichtungen im ländlichen Bereich – insbesondere für Migrantinnen und Flüchtlinge – und die ausreichende Finanzierung nachhaltiger Projekte.
Quellen
- BMBF (2014a): Tradition und Gewalt an Frauen. Wien. https://www.bmbf.gv.at/frauen/gewalt/fin_Tradition_und_Gewalt_an_Frauen.pdf?4jj2r1 (20.7.2015)
- BMBF (2014b): NAP zum Schutz von Frauen vor Gewalt. Maßnahmen der österreichischen Bundesregierung 2014 bis 2016. Wien. In: https://www.bundeskanzleramt.gv.at/dam/jcr:1f95e551-0e17-4d67-8090-b7bced3f4947/nap.pdf (20.7.2015)
- BMBWF (Hg.) / Saric, Emina (2021): Reflexive Geschlechterpädagogik und Gleichstellung. Unter besonderer Berücksichtigung des Themas „Gewalt im Namen der Ehre“. https://pubshop.bmbwf.gv.at/index.php?article_id=9&type=neuerscheinungen&pub=902 (15.06.2021)
- BMDW (2018): Gewalt im Netz gegen Frauen & Mädchen in Österreich. Wien. https://www.weisser-ring.at/wp-content/uploads/2018/10/Broschuere-Gewalt-im-Netz.pdf (15.06.2021)
- BMEIA (2018): Nationaler Aktionsplan zur Bekämpfung des Menschenhandels für die Jahre 2018-2020. https://www.bmeia.gv.at/fileadmin/user_upload/Zentrale/Aussenpolitik/Menschenrechte/Nationaler_Aktionsplan_2018-2020.pdf (15.06.2021)
- Bundesgesetzblatt I Nr. 148/2020: Hass-im-Netz-Bekämpfungs-Gesetz. https://www.ris.bka.gv.at/Dokumente/BgblAuth/BGBLA_2020_I_148/BGBLA_2020_I_148.html (15.06.2021)
- Büro für Frauengesundheit und Gesundheitsziele/Wiener Programm für Frauengesundheit (2020): Frauengesundheit und Corona. Sammelband des Wiener Programms für Frauengesundheit. https://www.wien.gv.at/gesundheit/beratung-vorsorge/frauen/frauengesundheit/pdf/frauengesundheit-corona.pdf (15.06.2021)
- Council of Europe (COE/Europarat) (2011): Council of Europe Convention on preventing and combating violence against women and domestic violence. In: https://rm.coe.int/CoERMPublicCommonSearchServices/DisplayDCTMContent?documentId=090000168046031c (20.06.2021)
- EU-Kommission (2020): Third report on the progress made in the fight against trafficking in human beings (2020) as required under Article 20 of Directive 2011/36/EU on preventing and combating trafficking in human beings and protecting its victims. https://ec.europa.eu/anti-trafficking/sites/default/files/third_progress_report.pdf (15.06.2021)
- EU-Kommission (2021): COMMUNICATION FROM THE COMMISSION TO THE EUROPEAN PARLIAMENT, THE COUNCIL, THE EUROPEAN ECONOMIC AND SOCIAL COMMITTEE AND THE COMMITTEE OF THE REGIONS on the EU Strategy on Combatting Trafficking in Human Beings. https://ec.europa.eu/home-affairs/sites/default/files/pdf/14042021_eu_strategy_on_combatting_trafficking_in_human_beings_2021-2025_com-2021-171-1_en.pdf (15.06.2021)
- European Union Agency for Fundamental Rights (2014): Gewalt gegen Frauen: eine EU-weite Erhebung. Ergebnisse auf einen Blick. https://fra.europa.eu/sites/default/files/fra-2014-vaw-survey-at-a-glance-oct14_de.pdf (7.5.2021)
- Heinisch, Heiko/Scholz, Nina (2012): Europa, Menschenrechte und Islam – ein Kulturkampf? Wien.
- Ludwig, Gundula/Sauer, Birgit/Wöhl, Stefanie (Hg.) (2009): Staat und Geschlecht. Grundlagen und aktuelle Herausforderungen feministischer Staatstheorie. Baden-Baden.
- Sauer, Birgit (2011): Migration, Geschlecht, Gewalt. Überlegungen zu einem intersektionellen Gewaltbegriff. In: Gender: Zeitschrift für Geschlecht, Kultur und Gesellschaft. Vol. 3(2). S. 44–60.
- Scholz, Nina (2014): Gewalt im Namen der Ehre. Wien.
- United Nations (1993): Erklärung über die Beseitigung von Gewalt gegen Frauen. Resolution 48/104. www.un.org/Depts/german/uebereinkommen/ar48104.pdf (11.06.2021)
- UN Security Council (2020): Women and peace and security. Report of the Secretary-General. S/2020/946. https://digitallibrary.un.org/record/3888723 (15.06.2021)