geboren am 30. November 1858, gestorben am 19. Jänner 1938
„Man wird erst wissen, was die Frauen sind, wenn ihnen nicht mehr vorgeschrieben wird, was sie sein sollen.“
Mit diesem Satz nahm Rosa Mayreder, die bedeutendste feministische Theoretikerin der ersten Frauenbewegung um 1900, die Einsicht vorweg, dass das Geschlechterverhältnis gesellschaftlich-kulturell konstruiert und damit veränderbar ist. In ihren 1905 und 1923 erfolgreich erschienen Essaysammlungen Zur Kritik der Weiblichkeit und Geschlecht und Kultur kritisierte sie die „Tyrannei der Norm“ von Frauen- und Männerrollen. Sie plädierte für die freie Entfaltung des Individuums ohne rigide Herrschafts- und Machtstrukturen, mit einem Höchstmaß an Zugang zu Bildung und Aufklärung. Um diese Aufklärung bemühte sie sich engagiert mit Vorträgen und Schriften, die sie z.B. in der Zeitschrift Die Dokumente der Frau veröffentlichte. Zusammen mit den Feministinnen Auguste Fickert und Marie Lang war sie Mitherausgeberin der Zeitschrift und zehn Jahre lang Vizepräsidentin des Allgemeinen Österreichischen Frauenvereins.
1894 hielt Rosa Mayreder zu dem umstrittenen Thema der Prostitution ihre erste Rede vor einer Frauenversammlung im Wiener Rathaus und sprach sich klar für den Schutz der Menschenwürde von Prostituierten und gegen die bürgerliche Doppelmoral aus. Gegen diese bürgerliche Moral wehrte sie sich selbst auf vielfältige Weise: als Jugendliche, indem sie sehr früh das einengende Korsett ablegte oder mit Humor, indem sie meinte, ihr dichtes, langes Haar würde ihrer Intelligenz keinen Abbruch tun (eine damals weitverbreitete Meinung vertrat, dass geistige Tätigkeit zu Haarausfall führe, womit die Kahlköpfigkeit von Männern erklärt wurde).
Rosa Mayreder war vielfältig engagiert und künstlerisch tätig. Ihr erster öffentlicher Auftritt fand als Malerin mit ihren Werken im Wiener Künstlerhaus statt. Fast zwanzig Jahre später gründete sie gemeinsam mit Olga Prager und Kurt Federn, eine private Kunstschule für Frauen und Mädchen. In ihrem schriftstellerischen Werk fanden sich nicht nur kulturphilosophische Texte, sondern auch Prosa, Novellen und Gedichte. In jungen Jahren schrieb sie auch das Libretto für Hugo Wolfs Oper Der Corregidor. Privat war ihre Arbeit mehr als 20 Jahre über stark eingeschränkt durch die Pflege ihres 1912 psychisch erkrankten Mannes. Karl Mayreder schwankte mit heftigen Gefühlsausbrüchen zwischen Wutanfällen und Depressionen. Immer wieder schrieb sie verzweifelt und erschöpft in ihren Tagebüchern darüber. Trotz dieser Belastung engagierte sie sich vor dem ersten Weltkrieg zusätzlich in der Friedensbewegung und kritisierte heftig jede Form von Militarismus, den sie als männlich definierte. Gegen Ende ihres Lebens wurde sie anlässlich ihres 70. Geburtstages zur Ehrenbürgerin der Stadt Wien ernannt. 1938 starb Rosa Mayreder im Alter von 80 Jahren in Wien.
Quellen
- Bubenicek, Hanna (1997): Rosa Mayreder oder Wider die Tyrannei der Norm. Wien: Böhlau.
- Mayreder, Rosa (1988): Mein Pantheon. Lebenserinnerungen. Dornach: Goetheanum.
- Mayreder, Rosa (2014): Zur Kritik der Weiblichkeit. München: Severus.
- Mayreder, Rosa (2005): Geschlecht und Kultur. Wien: Mandelbaum.
- Schmölzer, Hilde (2002): Rosa Mayreder. Ein Leben zwischen Utopie und Wirklichkeit. Wien: Promedia.