Der Weg einer Wiener Petition – Einreichung und Behandlung

Jede in Wien hauptgemeldete Person über 16 Jahre kann unabhängig von ihrer Staatsbürgerschaft eine Petition einbringen. Ebenso können alle hauptgemeldeten Wiener*innen über 16 Jahre Petitionsanträge unterstützen. Unterstützungserklärungen können entweder händisch oder online abgegeben werden. Petitionslisten in Papierform werden nach Unterschriftensammlung bei der MA 62 (Wahlen und verschiedene Rechtsangelegenheiten) eingereicht, dort werden die Unterschriften anschließend mit dem Melderegister abgeglichen. Die vollständige Petition wird dann auf der Online-Petitionsplattform der Stadt Wien www.wien.gv.at/petition/online veröffentlicht. Zudem ist ebenso eine direkte, elektronische Einbringung von Petitionen auf der Online-Plattform möglich. In diesem Fall wird die Unterzeichnung über Bürgerkarte oder digitale Signatur verifiziert. Allgemein sind Unterstützungserklärungen ein Jahr ab Einbringung einer Petition möglich (wien.gv.at 2018b). Bezüglich der Frage des Zugangs zur Petitionsunterstützung beschränken händische Unterschriftenaktionen auf Straßen oder Plätzen den Unterstützer*innenkreis räumlich auf ein lokales Publikum. Online-Petitionen haben hingegen theoretisch eine weit größere Reichweite. Allerdings können Hilfsmittel wie digitale Signatur und/oder Bürgerkarte in der Praxis besonders für ältere oder nicht internetaffine Menschen durchaus auch eine signifikante Hürde darstellen. Zudem steht zu vermuten, dass nicht alle Wiener Bürger*innen mit der Online-Petitionsplattform vertraut sind.

Unabhängig von händischer oder virtueller Unterstützungsform bleibt im Vergleich zu Gemeinderats- (österreichische Staatsbürger*innen) und Bezirksvertretungswahlen (österreichische und EU-Staatsbürger*innen) festzuhalten, dass der potentielle Beteiligungskreis von Petitionen (hauptgemeldete Personen über 16 Jahren unabhängig von Nationalität) einer weit größeren Gruppe die Möglichkeit der politischen Beteiligung bietet. Eine vergleichbare Inklusivität politischer Beteiligungsinstrumente wird künftig für die wachsende, multinationale Stadt Wien ein wichtiges Kriterium für die Gestaltung und Innovation demokratischer Beteiligungsmöglichkeiten darstellen.

Sobald eine Petition 500 gültige Signaturen erreicht hat und die Zuständigkeit der Gemeinde oder der Bezirke festgestellt wurde, wird die Petition an den Gemeinderatsausschuss Petitionen – „Petitionsausschuss“ genannt – zur Bearbeitung weitergleitet. Der Wiener Petitionsausschuss setzt sich aus 17 Gemeinderät*innen aller im Wiener Gemeinderat vertreten Fraktionen zusammen und tagt in der Regel fünfmal jährlich. Amtsführender Stadtrat der Geschäftsgruppe Klima, Umwelt, Demokratie und Personal ist Jürgen Czernohorszky (SPÖ; bis 2020 Birgit Hebein – Die Grünen). Entsprechend der Fraktionsstärke im Gemeinderat ist die SPÖ mit neun, die ÖVP mit vier, die Grünen mit zwei sowie die FPÖ und NEOS mit je eine*r Vertreter*in präsent (wiengv.at 2021).

Nach Prüfung der formalen Zuständigkeit kann der Petitionsausschuss in der Behandlung der eingebrachten Petitionen folgende Schritte unternehmen:

  • Einbringer*innen können zu einer schriftlichen oder mündliche Erläuterung einladen werden
  • Stellungnahmen weiterer Mitglieder der Stadtregierung sowie von weiteren betroffenen Personen oder Stellen, bspw. dem*der Bezirksvorsteher*in, Mitgliedern der Bezirksvertretung, der Volksanwaltschaft oder der Umweltanwaltschaft können eingeholt werden.
  • Die Behandlung einer Petition kann begründet abgelehnt werden, die Behandlung einer Petition kann begründet abgeschlossen werden. Dies kann mit oder ohne Erstellung von Empfehlungen über die weitere Vorgehensweise bzgl. des Petitionsgegenstands an die betreffenden Organe der Stadt oder Bezirke geschehen.

Nach Abschluss des Verfahrens werden alle Stellungnahmen und Empfehlungen auf der Petitionsplattform offen zugänglich gemacht. Nach Behandlung im Petitionsausschuss hat der amtsführende Stadtrat zudem die Petition gegenüber dem*der Einbringer*in zu beantworten und muss einmal jährlich dem Gemeinderat über die Behandlung der abgeschlossenen Petitionen berichten (ris.bka.gv.at 2018). Zentral bleibt festzuhalten, dass der Petitionsausschuss kein Entscheidungs- sondern ein konsultatives Organ darstellt und daher auch keine eigenständige Entscheidungsbefugnis bzgl. der Petitionsgegenstände hat.

 

Eckdaten der eingebrachten Petitionen

Seit dem Start der Petitionsplattform im März 2013 wurden bis April 2018 insgesamt 164 formell zulässige Petitionen eingebracht (alle folgenden Petitionsdaten wurden über die auf www.wien.gv.at/petition/online/ zugänglichen Informationen erhoben). Von den 145 bis 1. Mai 2018 abgeschlossenen Petitionen erzielten 98 (68%) min. 500 Unterstützungserklärungen und wurden an den Petitionsausschuss weitergeleitet. Dementsprechend blieben hingegen 47 (32%) der Petitionen unter dem Quorum zur Behandlung durch den Petitionsausschuss zurück.

Grafik: Demokratiezentrum Wien

Petitionen werden sowohl von Einzelpersonen als auch von Bürger*inneninitiativen und anderen kollektiven Zusammenschlüssen erstellt und unterstützt. Zur gültigen Einreichung benötigt jede Petition eine Person, die als Ersteller*in fungiert und die Petition offiziell namentlich einreicht. In diesem Zusammenhang fällt nach einer Gesamtschau der bis April 2018 eingebrachten Petitionen auf, dass im kompletten Eingabezeitraum lediglich 33 Petitionen von Frauen und dementsprechend 131 von Männern eingebracht wurden. Damit besteht bei der Petitionseingabe ein Geschlechterverhältnis von 20:80%.

Grafik: Demokratiezentrum Wien

Petitionen können sich sowohl auf Angelegenheiten auf Gemeinde- als auch auf Bezirksebene beziehen. Anteilsmäßig bezogen sich bisher 54 der 164 Petitionen auf die Gesamt-Wiener Gemeindeebene und 110 auf die Bezirksebene (Zu diesen Petitionen werden auch jene gezählt, deren Gegenstand sich mittels Verkehrswegen sowie öffentlichem Raum über die Grenze zweier oder mehrerer Bezirke erstreckt). Abgeschlossene Petitionen mit Wien-weitem Bezug haben im Vergleich zu abgeschlossenen bezirksbezogenen Petitionen eine deutlich geringere Erfolgsquote beim Erreichen von 500 Unterstützungserklärungen. Tatsächlich verfehlten 59% (26 von 44) der Petitionen mit Bezug auf die Wiener Gemeindeebene die Hürde von 500 Unterstützer*innen. Der Großteil der eingebrachten Petitionen (110 von 164) bezog sich auf Angelegenheiten, die konkret in einem oder mehreren wenigen Bezirken zu verorten sind. Von diesen scheiterten lediglich 21% (21 von 101) der bisher abgeschlossenen Petitionen am Erreichen der Unterstützungsmarke. Die Erfolgsquote der Petitionen scheint dementsprechend signifikant mit der Lokalität und Greifbarkeit ihrer Anliegen zu korrelieren. Hypothesen bzgl. dieser Beobachtung sind, dass lokalisierte, konkret greifbare Anliegen meist bessere Mobilisierungsstrukturen aufweisen, und die Motivation unmittelbar Betroffener in der Organisation und Bewerbung der Petitionen vergleichsweise hoch ist.

Grafik: Demokratiezentrum Wien

In Hinblick auf die Verteilung der Petitionen auf die Wiener Gemeindebezirke zeigt sich, dass einige Bezirke deutlich häufiger Gegenstand von Petitionen sind als andere. Während etwa Döbling, Leopoldstadt und Liesing gemeinsam (Teil-)Gegenstand von insgesamt 38 Petitionen und somit 34,5% der Gesamtzahl aller bezirksbezogenen Petitionen waren, kommen Wieden, Simmering und Brigittenau gemeinsam lediglich auf 5 Petitionen und somit auf ca. 4,5% der bezirksspezifischen Petitionen.

Grafik: Demokratiezentrum Wien

Des Weiteren zeigt sich ein interessanter zeitlicher Trend bzgl. der Häufigkeit von Petitionseingaben: Wurden 2013 innerhalb der ersten zehn Monate der Petitionsplattform noch 44 Petitionen eingegeben, waren es 2017 nur noch 19. In den dazwischen liegenden Jahren ging die Häufigkeit der Petitionseingaben stetig zurück.

Grafik: Demokratiezentrum Wien

 

Themengruppen

Thematisch gesehen ergibt die Gesamtschau aller eingereichten Petitionen ein vielfältiges Bild, das den Metropolencharakter Wiens widerspiegelt. Während einige Petitionen sehr klare Forderungen stellen („30er Zone am Volkertplatz“, „Für den Erhalt der dermatologischen Ambulanz [Haut- und Wundversorgung] im Wilhelminenspital“, „Für die Erhaltung des ‚Café-Restaurant Schloss Cobenzl‘ in Grinzing“), äußern andere Petitionen weit breitere oder abstraktere Forderungen (z.B. „Stadtbilderhaltung Wien“, „Leerstand öffnen“, „Wien braucht mehr Demokratie“, „Donaucanale für Alle“ etc.). Viele Petitionen streifen daher mehrere Themengebiete der öffentlichen Verwaltung. Jedoch kristallisieren sich recht deutlich einige thematische Schwerpunktfelder heraus, die hier überblickhaft skizziert werden sollen.

Der mit Abstand größte Teil der eingegebenen Petitionen befasst sich mit Bauprojekten bzw. der baulichen Bezirksgestaltung. Diese Kategorie kann wiederum in zwei Subfelder unterteilt werden.

Erstens: Petitionen, die sich explizit gegen Bauprojekte, Umwidmungen des Flächenwidmungsplans und Ähnliches stellen. In diesem Zusammenhang wird meist argumentiert, dass Bauprojekte drohen, das Bezirksbild und/oder die Lebensqualität der bisherigen Anwohner*innen massiv zu verschlechtern. Oftmals werden geplante und besonders bereits genehmigte Bauprojekte, vor allem solche der Stadt Wien, im Petitionstext nicht pauschal abgelehnt. Es kann also nicht von klassischen „NIMBY“ (not in my backyard) Mobilisierungen gesprochen werden, die aus Eigeninteressen unliebsame Bauprojekte in ihrer Gegend ablehnen. Vielmehr werden, in weit divergierendem Ausmaß und Stärke des Petitionstons, zumeist Forderungen nach Reduzierung der Projektdimensionen und einer stärkeren Einbindung der Anwohner*innen in die Projektplanung gestellt.

Zweitens: Proteste gegen Abrissvorhaben und Forderungen nach Denkmalschutz bzw. Ausweitung der Schutzzonen für bestehende Bausubstanz. Sie haben eine konservatorische Grundrichtung, sorgen sich um die Erhaltung einzelner Gebäude und des Bezirks- oder Stadtbilds und wollen es gegenüber stadtpolitischen oder privaten Verwertungsinteressen mit Blick auf künftige (mögliche) Veränderungen verteidigen. Petitionen, die sich in diesem Themengebiet verorten lassen, werden auffallend oft von Bürger*inneninitiativen und ähnlichen Zusammenschlüssen erstellt und unterstützt und sind in der Regel bei der Erreichung der 500 Unterstützungserklärungen sehr erfolgreich.

Die zweite Gruppe kann mit dem Schlagwort Verkehr umrissen werden. Radfahrer*innen sind oft mit Petitionen zu einer fahrradfreundlicheren Straßenführung und Stadtgestaltung vertreten. Zudem werden in diesem Themenbereich häufig Sicherheitsverbesserungen oder Temporeduktionen im Straßenverkehr gefordert. Auch ist das Thema öffentlicher Verkehr (bspw. U6, Linie 58, Straßenbahnführung) sowie das Thema Kurzparkzonen und Parkraumbewirtschaftung immer wieder präsent.

Ein weiteres Thema, das oft in Verbindung mit Bauprojekten und Verkehr steht, aber darüber hinaus reicht, sind Petitionen zur Bewahrung und/oder lebenswerten Gestaltung öffentlichen Raums. So werden von Petitionen vorwiegend Forderungen nach öffentlichen Gartenflächen, der Attraktivierung von Straßen und Plätzen sowie der Erschließung oder Bewahrung von Naturflächen gestellt.

Zudem beschäftigt die Wiener*innen das Thema Bewahrung und/oder Verbesserung öffentlicher Einrichtungen und Services. Dies umfasst vorwiegend Forderungen bzgl. der Verbesserung von Betreuungsverhältnissen in Schulen u.Ä., aber auch nach neuen, innovativen öffentlichen Services wie e-government, Elektroautoanschlüssen oder nach mehr Transparenz und Zugänglichkeit der Politik.

Abschließend kann ein separater Forderungscluster, der sich mit Verboten sowie Re-/Deregulierungsaufforderungen zusammenfassen lässt, konstatiert werden. Einerseits lassen sich hier bspw. Forderungen nach rauch- oder alkoholfreien öffentlichen Räumen sowie Abschaffung von Abgaben (z.B. Hundesteuer) verorten. Andererseits werden immer wieder, meist erfolglos, demagogische Petitionen, die anti-muslimische Denkmuster und Verbotsforderungen aufweisen, von einigen wenigen rechtslibertären, politisch marginalisierten Personen eingereicht.

 

Behandlung durch den Petitionsausschuss

Trotz der politischen Zustimmung, die die Etablierung des Petitionsausschusses begleitete und das neue Petitionswesen als Ausbau direkter Demokratie bzw. als emanzipatorisches Mitbestimmungsrecht bewarb, bleibt zunächst erneut festzuhalten, dass der Petitionsausschuss kein Entscheidungs-, sondern ein konsultatives Gremium darstellt. Der Abschluss der Behandlung einer Petition wird einseitig durch den Petitionsausschuss, ohne Mitbestimmung der Petitionseinbringer*innen, begründet und vollzogen. Im Vordergrund stehen in der Praxis die Möglichkeit für Bürger*innen, ihren Willen auszudrücken, also die (potentielle) Beteiligung an der städtischen, politischen Willensbildung, sowie die Verhandlung von Interessen. Somit hat das Verfassen von Petitionen meist eher „Voice“, also Willensausdrucksfunktion, als „Exit“-Funktion bzw. direkte Entscheidungsfunktion (vgl. van Deth 2009: 148).

Der Petitionsausschuss ist, wie erwähnt, paritätisch von Vertreter*innen des Gemeinderats besetzt. Das bietet einerseits den Vorteil, dass die vom Petitionsausschuss an amtsführende Stadträt*innen und andere Stellen ausgesprochenen Empfehlungen ein gewisses politisches Gewicht haben, andererseits werden selten Anträge zur Einholung von Stellungnahmen, zum Verfassen von Empfehlungen oder zum Abschluss von Petitionen jenseits koalitionärer Ausschussunterstützung durchgesetzt. Somit besteht eine gewisse Tendenz, bisheriges Wiener Regierungshandeln zu bestätigen.

Die zahlreichen Stellungnahmen, die von städtischen Polit- und Verwaltungsvertreter*innen eingeholt werden, scheinen oftmals dazu zu dienen, das bisherige politische und administrative Vorgehen mittels der Erläuterung juristischer und administrativer Rahmenbedingungen, der generellen Komplexität der Materie, bereits durchgeführter Bürger*innenbeteiligungsmaßnahmen sowie politischer Imperative (bspw. steigendem Wohndruck) zu legitimieren. Auf diesem Weg wird oftmals gezeigt, inwiefern die Forderungen der Petition nicht umsetzbar sind oder aus Sicht des Petitionsausschusses und städtischer Expert*innen bereits im Wesentlichen angemessen berücksichtig wurden. Sollte noch städtischer Handlungsbedarf im Sinne der Antragsteller*innen erkannt werden, werden oftmals „Empfehlungen“ mit (bestenfalls) politischer, aber keiner rechtlichen Verbindlichkeit ausgesprochen.

Der Petitionsausschuss erläutert und legitimiert also oftmals bereits erfolgtes oder eingeleitetes politisches und administratives Handeln. Er dient in Bezug auf Petitant*innen, wenn nicht unbedingt als Schule der partizipativen Demokratie, dann zumindest als Unterrichtung in Angelegenheiten politischer und administrativer Stadtplanung.

Ein dementsprechender Vorgang der Aufklärung und Legitimierung liegt bspw. in Beantwortung der Petition gegen die Flüchtlingsunterkunft in der Ziedlergasse 21 im 23. Bezirk (eingebracht 2016) vor. Von Seiten der Ersteller*innen der Stellungnahmen wurde die Gelegenheit genutzt, die „multiprofessionelle“ Arbeit der Stadt darzustellen, die in der Petition postulierten Zusammenhänge zwischen dem Flüchtlingsheim und Gewaltkriminalität zu widerlegen und auf die präventiv ergriffenen Sicherheitsmaßnahmen hinzuweisen. Ebenso wurde die vorübergehende Existenz der Großunterkünfte dargelegt und die soziale Verantwortung der Stadt Wien gegenüber Geflüchteten betont. Abschließend wurde an die Träger*innen der Unterkunft die Empfehlung ausgesprochen, diese nur solange wie nötig befristet zu nutzen sowie den positiven Austausch mit den Anrainer*innen aufrechtzuerhalten. In diesem Fall wurde die Plattform, die der Petitionsausschuss bietet, exemplarisch genutzt, um städtische Konflikte durch Erläuterung der Sachlage zu entschärfen. Zudem wurden – und auch dieser Vorgang findet sich häufig in der Beendigung von Petitionen – die zuständigen Verwaltungs- und Bezirksstellen durch Empfehlungen darauf hingewiesen, die Belange der jeweiligen Petitionen in künftiges Verwaltungshandeln einfließen zu lassen und Bürger*innen verstärkt einzubinden (wien.gv.at 2018d).

Der beschriebene Ablauf kann aber sicherlich nicht für die Behandlung aller Petitionen in gleichem Maße postuliert werden. Wie mit zwei Beispielen im Folgenden veranschaulicht werden soll, können Petitionen durchaus über politisch geleiteten Austausch und Legitimierungsprozesse hinaus Wirksamkeit entfalten.#

Die Petition „Kein Konsum alkoholischer Getränke auf öffentlichen Flächen des Pratersterns“ wurde mit dem Ziel der „Vermeidung weiterer alkoholbedingter Vergehen und Verbrechen sowie Gewaltexzesse“ im Jahr 2016 eingereicht (wien.gv.at 2018e). Während die meisten Petitionen eher moderate mediale Aufmerksamkeit – bspw. via meinbezirk.at – auf sich ziehen, entwickelte diese Petition eine starke öffentliche Resonanz. Dies war, neben schweren Gewalt und Sexualverbrechen, wohl auch auf die Unterstützung der Petition durch die oppositionelle FPÖ zurückzuführen (ein ähnlicher Effekt kann bei der durch die ÖVP unterstützte Petition gegen das Bauprojekt am Heumarkt beobachtet werden).

Im Rahmen der Behandlung der Petition holte der Petitionsausschuss insgesamt acht Stellungnahmen ein, und zwar von: der Stadträtin für Gesundheit, Soziales und Generationen; dem Stadtrat für Kultur, Wissenschaft und Sport; der Bezirksvorstehung des 2. Wiener Gemeindebezirks (zweimal); den Wiener Linien; der Landespolizeidirektion Wien; der Wirtschaftskammer Wien sowie der Österreichischen Bundesbahn.

Die Stellungnahmen ergaben eine Spaltung zwischen Befürworter*innen und Gegner*innen des Anliegens. Letztendlich wurden, in Harmonie mit der bisherigen Linie der Stadtregierung, zwei Empfehlungen ausgesprochen: die Stadträtin der Geschäftsgruppe Gesundheit, Soziales und Frauen wurde angehalten, „auf abgestimmte ordnungs-, sozial- und gesundheitspolitische Maßnahmen zur sozialverträglichen Steuerung dieses Phänomens hinzuwirken“, und der Bezirksvorstehung des 2. Gemeindebezirks wurde empfohlen, „die regelmäßigen Jour fixe mit den Organisationen und Unternehmen vor Ort fortzuführen und die Gremien der Bezirksvertretung über die Ergebnisse dieser Gespräche auch weiterhin informiert zu halten“ (wien.gv.at 2018f). Sicherlich keine Ergebnisse im Sinne der Unterstützer*innen der Petition. Nachdem die Thematik letztendlich aber auch nach Abschluss der Petition politisch und medial nicht zur Ruhe kam, wurde schließlich Ende April 2018 ein Alkoholverbot auf öffentlichen Plätzen am Praterstern eingeführt. Im Rückblick katalysierte die Petition politischen Druck und die Verankerung des Themas in der öffentlichen Debatte und trug somit maßgeblich zu diesem Ergebnis bei.

Ein Petitionsanliegen, das auch ohne oppositionelle Flankierung die Möglichkeit stadtpolitischer Einflussnahme und Themensetzung aufzeigt, ist die Petition „Für unsere schöne Josefstadt“. Diese wurde 2016 erstellt, nachdem ein historisches Haus in der Strozzigasse 39 trotz Schutzzonen-Status von einer Immobilienfirma kurz nach Erwerb dem Verfall preisgegeben worden war, vermutlich um eine Abriss- und Neubaugenehmigung zu erlangen. Die Antragsteller*innen forderten einen Schutz des Hauses und des Stadtbilds in Schutzzonen. Im Petitionsausschuss wurden Stellungnahmen von der Vizebürgermeisterin und amtsführenden Stadträtin für Stadtentwicklung, Verkehr, Klimaschutz, Energieplanung und Bürger*innenbeteiligung, dem Stadtrat für Wohnen, Wohnbau und Stadterneuerung, der Bezirksvorstehung für den 8. Wiener Gemeindebezirk und dem Stadtrat für Wohnen, Wohnbau und Stadterneuerung eingeholt. Allgemein wurde dem Petitionsanliegen großes Verständnis entgegengebracht. Zudem wurde mittels der Stellungnahmen festgestellt, dass kaum ausreichende rechtliche und politische Mittel vorhanden waren, um gegen Immobilien-Spekulant*innen in Schutzzonen vorzugehen. In Folge wurde eine Empfehlung an den damaligen amtsführenden Stadtrat für Wohnen, Wohnbau und Stadterneuerung und heutigen Bürgermeister Michael Ludwig ausgesprochen, in zukünftigen Novellierungen der Wiener Bauordnung auf eine Ausweitung des Schutzes vor Immobilienspekulation hinzuwirken. Zudem wurde eine Empfehlung an das Bundesdenkmalamt ausgesprochen, die Schutzwürdigkeit des Gebäudes Strozzigasse 39 zu überprüfen, sowie eine Empfehlung an die MA 37 verfasst, Maßnahmen zum Schutz von Bausubstanz zu treffen (wien.gv.at 2018f). Das Thema der Petition sowie der öffentliche und politische Druck, der somit aufgebaut wurde, haben also zu einer politischen Themensetzung für künftiges Handeln der Stadtregierung geführt. Zudem erklärte sich besagte Immobilienfirma in Folge bereit, städtische Subventionsmittel zur Renovierung des Hauses in der Strozzigasse 39 abzurufen und Abrisspläne zu verwerfen (orf.at 2017).

Auch wenn der Petitionsausschuss eher ein konsultatives, vermittelndes Gremium des Gemeinderats denn ein bürgerliches Mitentscheidungsorgan darstellt, zeigen die beiden letztgeschilderten Fälle, dass die öffentliche und politische Willensbildung durchaus über Petitionen angestoßen werden kann. Die Institutionalisierung der Petitionsmöglichkeit in Wien hat zusammenfassend gesagt sicherlich nicht zur Etablierung eines „emanzipativen Mitbestimmungsrechts“ geführt, wie mitunter politisch angekündigt. Die einseitige Möglichkeit des Ausschusses, Petitionen nach eigenem Ermessenspielraum abzuschließen, sowie seine institutionelle Gestaltung als konsultatives Organ, das paritätisch von Mitgliedern des Gemeinderats besetzt ist, stehen so einer Interpretationsmöglichkeit entgegen. Trotzdem haben die obengenannten Beispiele gezeigt, dass neben einer „Voice“- und Dialogfunktion zwischen Stadtpolitik, -verwaltung und Bürger*innen auch Einfluss auf die öffentliche und politische Meinung und somit die Stadtgestaltung genommen werden kann.