© Votava, Wien

Dissonante Geschichtsbilder?

Empirische Untersuchung zu Geschichtsbewusstsein und Identitätskonstruktionen von Jugendlichen mit Migrationshintergrund in Wien

Kulturell heterogen zusammengesetzte Schulklassen sind heute keine Seltenheit mehr. Ein Migrationshintergrund ist zentral für die Identitätsbildung der Schüler*innen und beeinflusst auch die Entwicklung von Geschichtsbildern.

Das Projektziel bestand in einem wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn in Bezug auf das Geschichtsbewusstsein von Jugendlichen mit Migrationshintergrund und damit zusammenhängenden Fragen der Identitätskonstruktion dieser Gruppe. Mit dieser Fragestellung wurde in Österreich Forschungsneuland betreten, aber auch international wurde die Thematik vor allem im Hinblick auf die Bedeutung, die dem Schulunterricht in diesem Kontext zukommt, kaum aufgegriffen bzw. explizit bearbeitet.

Das Erkenntnisinteresse des Projektes ging jedoch über den rein wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn deutlich hinaus. Die Untersuchung verstand sich auch als Grundlagenarbeit zu Fragen der interkulturellen Pädagogik und Didaktik, die in Schul- und Bildungspolitik sowie Schulpraxis umgesetzt werden kann. Mit dem Projekt wurde folglich nicht nur ein neuer wissenschaftlicher Diskursbereich eröffnet, sondern auch eine Verbindung zwischen Theorie und Praxis hergestellt.

Den Rahmen für das Projekt bildete der empirische Befund, dass Österreich in den letzten Jahrzehnten zu einem Einwanderungsland geworden ist, und sich damit die Herkunftsstruktur, die Hintergründe und Geschichte(n) der Schüler*innen vor allem an Wiener Schulen wesentlich verändert haben. Individuelle und Familienbiografien, aber auch die tradierten historischen und politischen Erfahrungen der Schüler*innen unterscheiden sich deutlich voneinander. Das Projekt ging davon aus, dass diese heterogene Klassenstruktur im Schulunterricht generell und bei der Vermittlung von Geschichtsbildern und Geschichtsbewusstsein im Speziellen nicht (ausreichend) berücksichtigt wird. Dies spiegelt sich darin wider – so die These weiter –, dass an der Tradierung nationaler österreichischer Narrative festgehalten wird.

Den zweiten Ausgangspunkt bildeten theoretische und empirische Erkenntnisse zur Identitätskonstruktion von Jugendlichen im Migrationskontext. Die Arbeit basierte dabei auf drei grundsätzlichen Thesen:

  1. Die Identitätsentwicklung wird als Prozess der aktiven Auseinandersetzung mit der Umwelt, dem Generalisierten Anderen konzipiert.
  2. Ein Individuum kann nur dann eine eigene Identität entwickeln, wenn es sich seiner Geschichte (eigene Biografie und kollektive Geschichte der Bezugsgruppe/n) bewusst ist.
  3. Schule wird als eine der wichtigsten Sozialisationsinstanzen und Vermittlerin von Geschichtsbildern und Geschichtsbewusstsein verstanden.

Vor diesem Hintergrund standen zwei erkenntnisleitende Forschungsfragen im Mittelpunkt des Interesses:

  1. Welche Geschichtsbilder, welche Narrative sind im Bewusstsein der Jugendlichen mit Migrationshintergrund präsent?
  2. Welche Bedeutung haben die im Schulunterricht tradierten nationalen österreichischen Narrative beim Prozess der Identitätsbildung bei Jugendlichen mit Migrationshintergrund, auch im Verhältnis zur Bedeutung vermittelter Narrative aus dem Herkunftsland (der Familie)?

Die Operationalisierung der Fragestellungen erfolgte anhand zentraler (österreichischer) Narrative und Diskurse. Die ausgewählten Themenkomplexe (z.B. österreichische Neutralität oder Türkenbelagerung Wiens) wurden sowohl quantitativ (Fragebogenerhebung) als auch qualitativ (fokussierte Interviews) bearbeitet. Zielgruppe waren Schüler*innen mit Migrationshintergrund an Wiener Schulen (Oberstufe AHS und BHS).

Das Projekt wurde vom Jubiläumsfonds der Stadt Wien für die Österreichische Akademie der Wissenschaften gefördert.

Oliver Rathkolb, Gertraud Diendorfer

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Endbericht

Christiane Hintermann: Geschichtsbewusstsein und Identitätskonstruktionen in der Einwanderungsgesellschaft