Was genau unter dem Begriff der „Visual Culture“ verstanden werden darf, ist umstritten. Bereits seine Definition als Forschungsdisziplin, als eine vorübergehende interdisziplinäre Modeströmung, als ein Forschungsgegenstand oder als ein Feld der Cultural Studies, der Medien- oder Kommunikationswissenschaften, der Kunstgeschichte oder der Ästhetik wirft grundlegende Fragen auf. Die zahlreichen, seit den ausgehenden 1990er Jahren erschienenen „Visual Culture Reader“ versuchen den Begriff aus jeweils anderer Sicht zu klären: aus der Perspektive der Kunstgeschichte, der Ästhetik, der Medienwissenschaft, der Semiotik, der Kulturwissenschaften bzw. Cultural Studies oder anderer Disziplinen der Humanwissenschaften.
Gemein ist ihnen allen der Wunsch, ein offensichtliches Forschungsdesiderat zu befriedigen. Der „pictorial turn“, den W.J.T. Mitchell in den 1990er Jahren ausgerufen hat (Mitchell 1994), bezeichnet die verstärkte Beobachtung des Visuellen bzw. der Bedeutung des Bildes in der Alltagskommunikation – eine „Wende“, die nicht unbedingt etwas Spezifisches für die gegenwärtige Epoche als „age of visuality“, sondern vielmehr die Veränderung in der Wahrnehmung selbst darstellt. Dem will die Forschung nun Rechnung tragen und das Visuelle in das Zentrum der Betrachtung rücken.
„Visual Culture“ oder „Visuelle Kultur“ kann demnach – je nach Forschungsdisziplin – etwas anderes bedeuten. In der Kunstgeschichte etwa wird damit ein Ansatz gemeint, der nun auch Bildkategorien wie Fotos, Film und Fernsehen mit einschließt und die Idee der Kunstgeschichte mit der Konzeption einer Bild-Geschichte ersetzt; oder in der Kommunikationsforschung werden nun ausgehend von konkreten materiellen Abbildern die materiellen und immateriellen Bilder einer Kultur und ihrer Entstehungsbedingungen untersucht. Gemein ist allen Vertreter*innen der „Visual Culture“, dass sie Sehen und Gesehen Werden als kulturelle Konstruktionen, also nicht als natürliche Aktivitäten betrachten, sondern als solche, die gelernt und gepflegt werden müssen. Dieser Ansatz impliziert Fragestellungen nach dem Blick und der Repräsentation, den psychischen, sozialen, kulturellen und technischen Bedingungen der Produktion und Rezeption des Visuellen. Wobei das Visuelle sich nicht auf die Bilder beschränkt, sondern auch die performativen Prozesse des Darstellens und des Sehens impliziert (Vgl. Mitchell 2002: 97-100).
Quelle: Mitchell, W. J. Thomas: Picture Theory. Essays on Verbal and Visual Representation, Chicago 1994; Mitchell, W. J. Thomas: Showing Seeing. A Critique of Visual Culture, in: Mirzoeff, Nicholas (Hrsg.): The Visual Culture Reader, 2. Aufl., London, New York 2002, S. 86-101.