Elitendemokratie

Die Theoretiker*innen der „Elitendemokratie“ (Dachs 2008) betrachten Demokratie als einen Markt, auf dem politische Unternehmer*innen um die Stimmen der Wähler*innen (Konsument*innen) werben und als Tausch politische Produkte anbieten. Ihre Hauptvertreter Joseph Schumpeter und Anthony Downs haben ihre Theorie in den USA der 1940 und 50er Jahre entwickelt. Unter der Erfahrung des Zerfalls westlicher Demokratien entwickelten sie eine moderne, minimalistische Demokratiekonzeption, die sich von der normativen, am Gemeinwohl orientierten „klassischen“ Demokratielehre des 18. Jahrhunderts abgrenzt. Sie betrachten Demokratie als eine prozedurale Methode, die allein der Auswahl von politischem Führungspersonal dient und keine normativen oder ethischen Ansprüche teilt.

Joseph Schumpeter: „Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie“, 1950

Die demokratische Methode ist diejenige Ordnung der Institutionen zur Erreichung politischer Entscheidungen, bei welcher Einzelne die Entscheidungsbefugnis vermittels eines Konkurrenzkampfes um die Stimmen des Volkes erwerben“ (Schumpeter 1950: 428)

Im vierten Teil seines Werkes „Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie“ hat der 1883 in Triesch (Mähren) geborene Nationalökonom Joseph Schumpeter den Grundstein für eine „realistische“ Demokratielehre gelegt. Im Gegensatz zur vorigen normativen klassischen Demokratielehre hat Schumpeter seine Elitentheorie aus der empirisch erfahrbaren Realität im Kontext des krisenhaften Zustands der Demokratie heraus entwickelt. Demokratie wird von Schumpeter in starker Abgrenzung zur „klassischen“ Demokratielehre nicht als Lebensform, sondern als demokratisches Verfahren verstanden, das sich allein darauf konzentriert, politisches Führungspersonal innerhalb eines Wettbewerbs auszuwählen (Schmidt 2010). In seiner minimalistischen Demokratietheorie konzentriert sich Schumpeter auf die politische Führung und betont den marktwirtschaftlichen Wettbewerb. Er vergleicht die politische Führungsschicht mit wettbewerbsfähigen und innovationsorientierten Unternehmer*innen, die Spielregeln und Schwankungen des Marktes unterliegen und von den Bürger*innen (Konsument*innen) dazu ausgewählt werden, um für sie Entscheidungen mit gesamtgesellschaftlicher Bedeutung zu treffen.

In Schumpeters Demokratieansatz werden Bürger*innen keine weiteren Partizipationsmöglichkeiten eingeräumt. Er begründet diesen minimalistischen Demokratieansatz mit einem pessimistischen Bild des*der Wähler*in, den*die er als selbstsüchtig, wankelmütig, irrational, infantil beschreibt. Wähler*innen und Regierung streben primär ihren eigenen Interessen, Machterwerb und –erhalt an. In seiner Argumentation grenzt sich Schumpeter somit deutlich von der normativen, von ihm so genannten „klassischen Lehre der Demokratie“ ab, die sich auf Vorstellungen von Gemeinwohl und Gemeinwillen (volonté générale: Jean Jacques Rousseau 1755) stützt. Diese Vorstellungen entsprechen nach Schumpeter aber nicht der Realität einer zunehmenden Individualisierung in der Gesellschaft.

In Schumpeters Demokratielehre sind Wähler*innen mit Konsument*innen gleichzusetzen. Schumpeter belegt seine Lehre vom „unmündigen Bürger“ mit zeitgenössischen Theorien wie der Massenpsychologie oder der Lehre der fehlenden Konsument*innensouveränität. Schumpeters Wähler*innen werden folglich nicht als urteilsfähige Subjekte verstanden, sondern als markt- und werbungsabhängige Konsument*innen. Somit ist nach Schumpeter der Gemeinwille endogener Natur, „Erzeugnis und nicht die Triebkraft des politischen Prozesses“. Der Wille des Volkes bzw. der Mehrheit ist somit keine feststehende und unabhängige Größe (exogen), sondern entwickelt sich erst innerhalb des politischen Prozesses (endogen).  Indem er die Prämisse des „mündigen Bürgers“ im politischen Bereich ablehnt, wird den Bürger*innen nur noch die Funktion der Wahl und Abwahl der politischen Elite zugestanden.

Kritik

Aus Schumpeters Wähler*innenbild ergibt sich eine Unklarheit, die seine Kritiker*innen als „schumpeterianisches Dilemma“ (zit. bei Schmidt 2010: 193) bezeichnen: Wie soll eine derart unfähige Masse eine leistungsfähige politische Führung wählen?
Ein anderer Kritikpunkt: Schumpeters minimalistischer Demokratiebegriff ist allein auf den Wettbewerb um Wähler*innenstimmen reduziert. Weitere intermediäre Institutionen zwischen Bürger*innen und dem politischen Führungspersonal (z.B. Parteien, Verbände, Bürgerinitiativen) finden darin keine Berücksichtigung.  Dennoch hat Schumpeter mit seinem Demokratieansatz die Schwächen der normativen Demokratielehre aufgedeckt und bietet in einer Zeit der Krise der Demokratie zumindest einen empirischen, wenn auch zynischen Demokratieansatz.

Anthony Downs: „Ökonomische Theorie der Demokratie“, 1957

Der Politikwissenschaftler und Ökonom Anthony Downs (geb. 1930) erweiterte Schumpeters Demokratieansatz und verknüpft wesentliche Ideen der Wirtschaftswissenschaft, wie die Kosten-Nutzen-Maximierung, mit der Demokratietheorie der Politikwissenschaften. Damit gehört er zu den Mitbegründern der „Ökonomischen Theorie der Politik“. Downs versteht Demokratie als ein komplexes Tauschsystem, als einen politischen Markt, auf dem eigennützige Unternehmen (Parteien) und Konsument*innen (Wähler*innen) interagieren. Parteien bieten den Wähler*innen Politikprogramme an, die von der/dem rational handelnden Wähler*in einer Kosten-Nutzen-Bilanz unterzogen werden. Eine zentrale These ist, dass Parteien ähnlich wie Unternehmen in einer gewinnorientierten Wirtschaftsordnung agieren. Während es dem Unternehmen um Gewinnanhäufung geht, gehe es im Parteienwettbewerb um Stimmenmaximierung. Parteien produzieren folglich wie Unternehmen Produkte (Parteiprogramme), die allein der Erzielung von politischem Gewinn dienen. Somit versteht Downs Politik als Mittel zum Zweck (Machterwerb bzw. –erhalt). Eine zweite Hauptthese besagt, dass der*die Bürger*in auch in der Politik als ein*e rational handelnde*r, Kosten und Nutzen abwägende*r Konsument*in handelt (homo oeconomicus). Im Gegensatz zu Joseph Schumpeter geht Downs somit von über die unterschiedlichen Angebote informierten Wähler*innen aus, die ihre eigenen Präferenzen kennen und, nach ihrem eigenen Vorteil bedacht, rational Entscheidungen treffen.

Kritik

Die These von der*dem rationalen und informierten Wähler*in kritisiert Manfred G. Schmidt (2010) als „heroische Vereinfachung“. Es entspreche nicht der Realität, dass Wähler*innen in einem Mehrparteiensystem ausreichend über die Parteien, deren Programme und Ideologien informiert sind bzw. ihre eigenen Präferenzen kennen, so dass sie die für sich richtigen Entscheidungen treffen können. Zudem werden in der Ökonomischen Theorie von Downs die irrationalen Gründe für Wahlentscheidungen missachtet, z.B. die Nähe von Parteien zu soziokulturellen Milieus, die vor allem in Europa wesentlich präsenter sind.

Der minimalistische Ansatz der Elitendemokratie wird insgesamt als zu starke Vereinfachung kritisiert. Er konzentriert sich überwiegend auf Wähler*innen, politische Führung und Parteien und übersieht dadurch andere Einflussgrößen, die das Verhalten der Wähler*innen und Politiker*innen bestimmen. So fallen viele Entscheidungen von gesamtgesellschaftlicher Bedeutung erst außerhalb des Parteien- und Regierungssystems, zum Beispiel in der Interaktion mit Verbänden, Bürger*innenbewegungen oder unter dem Einfluss des Verfassungsgerichts. Demokratie ist folglich mehr als ein Markt von Eigeninteressen, sondern vielmehr ein politisches Forum, auf dem unterschiedliche Argumente und Interesse ausgetauscht und abgewogen werden und Präferenzen im politischen Zusammenspiel geformt werden.