Erste Republik 1918–1933

Als Staatsgründer der Republik fungierten die politischen Parteien – allen voran die Sozialdemokratische Arbeiterpartei (SDAP) und die Christlichsoziale Partei (CSP). Die Kommunistische Partei Österreichs (KPÖ) wurde erst 1918 gegründet. Der Landbund und die Großdeutsche Partei sowie eine Reihe anderer vorwiegend konservativer, bürgerlicher oder deutschnationaler Kleinparteien spielten in der Ersten Republik nur eine untergeordnete Rolle und waren politisch vor allem hinsichtlich ihrer Koalitionsbeteiligung relevant.

Parlament in Wien. Ausrufung der Ersten Republik am 12. November 1918
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Ausrufung der Republik 1918

Am 12. November 1918 wurde in Wien von der Provisorischen Staatsregierung Karl Renner die Republik Deutschösterreich ausgerufen. Das Bild zeigt eine Menschenansammlung vor dem Parlamentsgebäude an der Wiener Ringstraße.

In der unmittelbaren Nachkriegszeit waren in ganz Europa revolutionäre Unruhen an der Tagesordnung. Im Gegensatz zu anderen Staaten wie Deutschland (hier v.a. Bayern) und Ungarn konnte die Rätebewegung in Österreich – auch weil die SDAP es verstand, die (spontanen) Basisbewegungen in einem Arbeiterrat zu kontrollieren – jedoch keine wirkliche Bedeutung erlangen. Auch der Zulauf zur KPÖ blieb beschränkt und nahm erst nach dem Brand im Justizpalastes 1927 und dem Bürgerkrieg 1934 in Folge einer weiteren politischen Radikalisierung und der Enttäuschung über die SDAP im Kampf gegen autoritäre und faschistische Strömungen zu.

1918 war Österreich von der Vielvölkermonarchie zu einem Kleinstaat geworden, an dessen Lebensfähigkeit anfangs wenige glaubten. Vielerorts – auch im Bereich der politischen Parteien – bestand der Wunsch nach einem „Anschluss“ an Deutschland. Ausdruck dieses „Anschluss“-Wunsches war nicht zuletzt der Name Deutschösterreich, den sich die junge Republik 1918 gab. Im Friedensvertrag von Saint Germain wurde Österreich 1919 jedoch beides verboten, die offizielle Bezeichnung des neuen Staates lautete nun Republik Österreich. Mit Ungarn, Böhmen und Mähren hatte die junge Republik wichtige Wirtschaftsregionen des Habsburgerreiches – was Industrie und Landwirtschaft betrifft – verloren. Dem Ersten Weltkrieg folgte eine schwere ökonomische Krise mit hoher Arbeitslosigkeit und hohen Inflationsraten, in deren Folge 1924 der Schilling als neue Währung eingeführt wurde.

Bundes-Verfassungsgesetz 1920
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Die neue Staatsform der demokratischen Republik wurde verfassungsrechtlich 1920 unter wesentlichem Anteil des Rechtsgelehrten Hans Kelsen festgeschrieben. Österreich wurde hierin als stark parlamentarisch geprägtes System definiert. Das Parlament wurde als das zentrale Staatsorgan festgeschrieben. Es sollte aus zwei Kammern, dem direkt von den Bürger*innen gewählten Nationalrat und dem von den Landtagen beschickten Bundesrat, der Ausdruck des föderalen Charakters Österreichs sein sollte, bestehen. Gemeinsam sollten beide Kammern den Bundespräsidenten wählen. Die Parteien, die als Staatsgründer fungiert hatten und die auch für Kelsen eine unabdingbare Voraussetzung für die Demokratie waren, wurden in der Verfassung jedoch nicht ausdrücklich genannt, sondern „vorausgeschickt“. Ein Parteiengesetz, das der Bedeutung der Parteien im politischen Prozess Rechnung trug, wurde erst 1975 verabschiedet.

Der Wahl zur konstituierenden Nationalversammlung im Jahr 1919 folgte die Bildung einer großen Koalition aus Christlichsozialer Partei und Sozialdemokratischer Partei. Getragen wurde die Christlichsoziale Partei in erster Linie von Bauern, Gewerbetreibenden und Handwerkern, während führende Vertreter auch aus den Reihen der katholischen Kirche stammten. Dies verdeutlicht etwa das Beispiel von Prälat Ignaz Seipel, der von 1921 bis 1929 Obmann der Christlichsozialen Partei war. Die Anhänger*innen der SDAP stammten hingegen primär aus der Arbeiter*innenschicht, wobei ihre Führungsebene – vom „Gründungsvater“ Victor Adler bis herauf zu Bruno Kreisky – oft einen bürgerlichen, jüdischen Hintergrund hatte. Die zentralen Vertreter der SDAP in jener Zeit waren (der dem rechten pragmatischen Flügel zuzuordnende) Karl Renner, der der erste Staatskanzler der jungen Republik war, und (der dem linken Flügel zuzurechnende und für den Austromarxismus stehende) Otto Bauer.

Bereits 1920 wurde die Koalition von Seiten der Christlichsozialen jedoch wieder aufgelöst. Den Wahlen vom Oktober 1920 folgte die Bildung einer bürgerlichen Koalitionsregierung. Die SDAP war nach dem Koalitionsbruch 1920 Mitglied keiner weiteren Regierung in der Ersten Republik, konnte bei den Nationalratswahlen 1919, 1920, 1923, 1927 und 1930 im Durchschnitt aber rund 40 % der Wähler*innenstimmen für sich gewinnen und war bei der letzten freien Wahl vom 9. November 1930 sogar zur stimmenstärksten Partei geworden. Das 1931 im Zeichen der großen (internationalen) Wirtschaftskrise stehende Angebot, sich an der Regierung zu beteiligen, lehnte sie jedoch ab, da dies bedeutete hätte, einen harten Sanierungskurs mittragen zu müssen. Zudem war das Verhältnis von Christlichsozialen bzw. Bürgerblock und Sozialdemokrat*innen zu diesem Zeitpunkt bereits so verhärtet, dass eine Zusammenarbeit – auch aufgrund der gewalttätigen Auseinandersetzungen der letzten Zeit – wohl kaum funktioniert hätte.

Ringstraße des Proletariats. Titelblatt der Zeitschrift „Die Unzufriedene“, Nr. 35, 30. August 1930

Das von der SDAP dominierte Rote Wien und die von den Christlichsozialen bestimmte Bundesregierung sowie die sich ebenfalls fest in ihrer Hand befindlichen Bundesländer standen sich als feindliche Blöcke gegenüber. In Wien versuchte die SDAP v.a. mittels einer massiven Forcierung des kommunalen Wohnbaus zu ihrer Vision des „neuen Menschen“ und der Gleichberechtigung der Arbeiter*innen beizutragen, während in den Bundesländern immer mehr eine – auch stark katholisch geprägte – regionale Identität betont wurde.

Der schon vor 1920 deutliche Gegensatz der beiden großen politischen Parteien trat mit dem Ende der Koalition zunehmend offener zutage und spaltete die Gesellschaft immer mehr. Österreich zerfiel in politische Lager, in ein „rechtes“ und ein „linkes“ Österreich. Wesentlich ist dabei, dass beide politischen Lager über eine hohe Mobilisierbarkeit ihrer Anhänger*innen und über paramilitärische Schutz- oder Wehrverbände verfügten. Seitens der SDAP war dies der Republikanische Schutzbund, auf bürgerlicher Seite und somit den Christlichsozialen nahe stehend ist die Heimwehr zu nennen. in Verbindung mit der ökonomischen Krise, einer fehlenden politischen Gesprächskultur und einer hohen Gewaltbereitschaft führte dies zu einer Dauerkrise des politischen Systems.

Gewalttätige Auseinandersetzungen – wie etwa das Beispiel des Justizpalastbrandes 1927 zeigt – waren keine Ausnahme. Nachdem im burgenländischen Schattendorf bei einem Aufmarsch des Republikanischen Schutzbundes ein Kriegsinvalide und ein Kind von ebenfalls aufmarschierenden Frontkämpfern erschossen und die Schützen von einem Wiener Geschworenengericht freigesprochen worden waren, folgte der Marsch der Arbeiter*innen auf den Wiener Justizpalast, der als Symbol für eine politisch motivierte Klassenjustiz verstanden wurde. Die Führung der Sozialdemokratie hatte sich nach den Vorfällen in Schattendorf und dem Geschworenengerichtsurteil, selbst noch als die Arbeiter*innen bereits demonstrierten, abwartend gezeigt. Bundeskanzler Seipel und Polizeipräsident Schober ließen auf die protestierenden Arbeiter*innen schießen. Zahlreiche Tote und Verletzte waren die Folge.

Wahlplakat der SPÖ 1956. Im Vorfeld der Nationalratswahlen vom 13. Mai 1956 erinnerte die SPÖ an die Heimwehr-Vergangenheit von Bundeskanzler Julius Raab und daran, dass dieser den Korneuburger Eid geschworen hatte.
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Politisch entscheidend war v.a. aber auch, dass die parlamentarische Demokratie weder von den Christlichsozialen noch von den Sozialdemokrat*innen als endgültige Regierungsform betrachtet wurde. Während die SDAP auf die Verwirklichung des Sozialismus abzielte, der eine Weiterentwicklung von der politischen zur sozialen Demokratie auf parlamentarischem Boden vorsah – nur im Ausnahmefall sollte, so das Linzer Programm von 1926, der „Widerstand der Bourgeoisie mit den Mittel der Diktatur“ gebrochen werden – votierte Ignaz Seipel für sein autoritäres Konzept der „wahren Demokratie“, das nicht in Richtung mehr Mitsprache für die Bürger*innen sondern in Richtung „mehr Verantwortlichkeit der Führer in der Demokratie“ gehen sollte. Weite Teile der Christlichsozialen und der Heimwehr befürworteten demgegenüber ein ständisches Gesellschaftsmodell. Gemeinsam war beiden Strömungen, dass sie den Parteienstaat ablehnten und auf autoritäre Führerfiguren setzten.

Ausdruck dieses autoritären Zugangs ist nicht zuletzt die Novellierung der Bundesverfassung im Jahr 1929, die das letzte große Kompromisswerk zwischen Sozialdemokrat*innen und Christlichsozialen darstellt. Durch sie wurde der Bundespräsident, das autokratische Element im politischen Institutionengefüge, gestärkt. Er sollte nun nicht mehr vom Parlament, sondern von den Bürger*innen direkt gewählt werden. Zudem wurden seine Kompetenzen erweitert, die Exekutive auf Kosten der Legislative, die Mehrheit auf Kosten der Minderheit und der Bund auf Kosten der Länder gestärkt. Minimiert werden sollte damit nicht zuletzt der Machteinfluss des Roten Wien.

1930 erklärte die Heimwehr im Korneuburger Eid, dass sie den demokratischen Parlamentarismus und den Parteienstaat verwerfe und nach der Macht im Staats greifen werde: „Wir wollen den Volksstaat der Heimwehren […]. Wir wollen nach der Macht im Staate greifen und zum Wohle des gesamten Volkes Staat und Wirtschaft neu ordnen […]. Wir kämpfen gegen die Zersetzung unseres Volkes durch den marxistischen Klassenkampf und die liberal-kapitalistische Wirtschaftsgestaltung …“