Das alte Familienrecht – Wurzeln, die bis ins Jahr 1811 zurückreichen
Das im Jahr 1970 gültige Familienrecht ging in seinem Kern auf das Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch des Jahres 1811 zurück. Dieses hatte eine Form der Familie festgeschrieben, die den Mann zum „Haupt der Familie“ erklärte und Frau und Kinder seinem Führungsanspruch unterstellte.
Von ihm leitete sich der Familienname ab. Der Mann bestimmte den Wohnsitz der anderen Familienmitglieder, die ihm gegenüber folgepflichtig waren. Er legte die Erziehungsziele und die Berufswahl der ihm zu Gehorsam verpflichteten Kinder fest. Er musste für seine Familie sorgen und einen „anständigen“ Unterhalt leisten. Die Frau war ihm dafür zum Beistand verpflichtet und hatte sich um die Arbeit im Haushalt und die Pflege der Kinder zu kümmern.
Reformdiskussion und -initiativen
Kritik am bestehenden Familienrecht bestand 1970 schon seit langem. Zu jenen, die am stärksten immer wieder eine Veränderung im Familienrecht gefordert hatten, zählten seit jeher die Frauen. Durch die „Erste Frauenbewegung“ zu Beginn des 20. Jahrhunderts und in der Ersten Republik und durch die „Zweite Frauenbewegung“ der 1960er und 1970er Jahre wurde das Reformthema Familienrecht immer wieder eingefordert und das Augenmerk auf nötige Demokratisierungsmaßnahmen in Familienrecht gelenkt.
Bereits 1925 hatten die sozialdemokratischen Abgeordneten zum Nationalrat Adelheid Popp und Gabriele Proft die Schaffung eines Gesetzes gefordert, das die Gleichstellung der Geschlechter im Familienrecht herbeiführen sollte und zwei Jahre später – nachdem in dieser Frage nichts geschehen war – einen beinahe gleichlautenden Antrag eingebracht. Er umfasste – wie auch Justizminister Broda betonte – bereits alle wesentlichen Punkte, die in den folgenden Jahren zum fixen Bestandteil aller weiteren Initiativen in der Familienrechtsreform wurden.
Rechtsreform – Das neue Familienrecht
Der Durchbruch gelang – gestützt auf die Reformdiskussion der vorhergehenden Jahrzehnte und das Reformprogramm der SPÖ aus dem Jahr 1969 – erst in den 1970er Jahren. Die Familienrechtsreform erfolgte vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen Veränderungen in späten 1960er Jahren, einer auch in der ÖVP einsetzenden Liberalisierung und dem Umstand, dass nun – wenn auch ein parteienübergreifender Konsens angestrebt wurde – zur Verabschiedung der Reform eine Einigung mit der ÖVP für die allein regierende SPÖ nicht mehr unbedingt erforderlich war.
Durchgeführt wurde die Familienrechtsreform in Teilschritten, wobei in der Zeit der Minderheitsregierung 1970/1971 mit Veränderungen im Unehelichengesetz begonnen wurde und nach den Wahlen 1971 eine Reform des Familienrechts vom Kern zu den Randgebieten folgte. In Angriff genommen wurde Seitens des Justizministeriums 1971 jedoch vorerst die Strafrechtsreform, da die Vorarbeiten in diesem Bereich bereits weiter gediehen waren. Erst nach dieser folgte die Familienrechtsreform, die im Wesentlichen von den Beamt*innen im Justizministerium ausgearbeitet wurde und auch der Frauenbewegung erst im Zuge der Begutachtung die Möglichkeit der Mitgestaltung bot.
Inhaltlich brachte die Familienrechtsreform mit Veränderungen im Ehe- und Kindschaftsrecht folgende Neuerungen:
- Mit dem Bundesgesetz über die Neuordnung der Rechtsstellung des unehelichen Kindes (BGBl 342/1970) kam es – vornehmlich in Ansehung des Unterhalts- und Erbrechts gegenüber dem außerehelichen Vater – zu einer Verbesserung der Position des unehelichen Kindes, wenn auch keine völlige Gleichstellung mit den ehelichen Kindern erreicht wurde.
- Mit dem Bundesgesetz über die Geschäftsfähigkeit und Ehemündigkeit (BGBl 108/1973) wurde u.a. die Volljährigkeit und Ehemündigkeit von 21 auf 19 Jahre herabgesetzt.
- Mit dem Bundesgesetz über die Neuordnung der persönlichen Rechtswirkungen der Ehe (BGBl 412/1975) wurde die Partnerschaft in der Ehe verankert, die Stellung des Ehemanns als Oberhaupt der Familie abgeschafft und die Gleichberechtigung der Frau in der ehelichen Gemeinschaft statuiert. Der Mann konnte seiner Ehefrau nicht mehr verbieten, berufstätig zu sein. Beide Ehepartner waren nun gleichermaßen verpflichtet, zum Unterhalt der Familie beizutragen, sei es durch Erwerbstätigkeit oder durch Hausarbeit, wodurch diese erstmals als gleichwertiger Beitrag zum Unterhalt anerkannt wurde (im Falle einer Scheidung wurde dadurch auch das während einer Ehe erworbene Vermögen geteilt). Der Familiensitz und der Familienname sollten nun nach partnerschaftlichen Grundsätzen festgelegt werden.
- Das auch im internationalen Vergleich beispielhafte Unterhaltsvorschussgesetz 1976 (BGBl 250/1976) sah die Gewährung von Vorschüssen auf den Unterhalt für jene unterhaltsberechtigten minderjährigen Kinder vor, deren Unterhaltspflichtige (in der Regel die Väter) ihren Verpflichtungen nicht nachkamen. Vom säumigen Elternteil wurden diese Zahlungen vom Staat später zurückverlangt.
- Mit der Neuordnung des Kindschaftsrechts (BGBl 403/1977) wurde die „väterliche Gewalt“ über die Kinder beseitigt. Vater und Mutter wurden nun gleiche Rechte und Pflichten gegenüber den Kindern eingeräumt, zugleich wurde das Kind nicht mehr nur als Gegenstand elterlicher Bestimmung, sondern als Träger*in von Rechten und Pflichten betrachtet.
- Im Zuge der Neuordnung des ehelichen Güterrechtes (Bundesgesetz über Änderungen des Ehegattenerbrechts, des Ehegüterrechts und des Ehescheidungsrechts BGBl 280/1978) wurde u.a. die bis dahin geltende Rechtsvermutung, dass das während der Ehe erworbene Vermögen vom Mann stammt, eliminiert. Im Falle der Auflösung einer Ehe wurde nun eine Teilung des in der Ehe erworbenen Vermögens vorgenommen. Gleichzeitig wurde die Position des Ehepartners im Erbrecht gestärkt.
- Durch Reformen im Scheidungsrecht (Bundesgesetz über Änderungen des Ehegattenerbrechts, des Ehegüterrechts und des Ehescheidungsrechts BGBl 280/1978 und Bundesgesetz über eine Änderung des Ehegesetzes BGBl 303/1978) wurde die Möglichkeit der Scheidung in beiderseitigem Einvernehmen geschaffen. Zudem wurde (unter gleichzeitiger Sicherung der Unterhalts- und Pensionsansprüche des „schuldlosen“ Ehepartners) die Möglichkeit geschaffen, dass bei Unheilbarkeit der Ehezerrüttung auch bei Widerspruch des „schuldlosen“ Ehepartners die Ehe geschieden werden kann, wenn die eheliche Gemeinschaft seit mindestens sechs Jahren aufgehoben ist.Mit Ausnahme des neuen Ehegesetzes konnte im Parlament ein breiter Konsens über die Familienrechtsreform erzielt werden. Dem neuen Ehegesetz verweigerte die ÖVP auf Grund der Regelung, wonach Scheidungen auch gegen den Widerstand des Ehepartners durchgeführt werden können, die Zustimmung. Sie befürchtete, dass durch diese „Scheidungsautomatik“ Ehen zu leicht und zu schnell ohne gewichtigen Grund geschieden werden könnten und kritisierte negative Auswirkungen auf die „Ehegesinnung“ der Jugend.